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Überraschungen
oder Kriegsrat in Shar-Tok (Fragment des Splitterplots) Ich gönnte mir einen Moment der Besinnung in diesen unruhigen Zeiten und hatte in einem Sessel in meinem Arbeitszimmer, oder besser in meinem ehemaligen Arbeitszimmer Platz genommen. Vor nicht allzu langer Zeit waren mein Neffe Feach und ich durch ein Hügeltor nach Shar-Tok zurückgekehrt. Mit uns gebracht hatten wir eine Abteilung Fianna, Elitekrieger der Thuach na Moch, denn es war abzusehen, dass es hier gefährlich werden würde und mein Gegenspieler wahrscheinlich auch vor hinterhältigem Tun nicht zurückschrecken würde. Noch im Hügelreich hatte ich ein Schreiben aufgesetzt und es sowohl mit meinem Siegel als auch einem allekirjoitus, einer Art geistiger Unterschrift versehen. Ein Siegel konnte gefälscht werden, letzteres jedoch niemals. Hiermit ausgestattet hatten wir den stellvertretenden Stadtherrn aufgesucht und ihn überzeugt, dass der verschollene Raju Laivuri tatsächlich diesen eigenartigen, spitzohrigen Mann zum neuen Herrn über die duale Stadt bestimmt hatte. Ich trat als sein Berater in Sachen lokaler Gegebenheiten auf und ob meiner Kenntnisse der hiesigen Umstände wurde mir dies nach kurzen Gesprächen auch abgenommen. Derzeit waren die Fianna dabei, den Palast des Stadtherrn zu sichern. Zu diesem Zweck wurden von hiesigen Arbeitern unter der Aufsicht der Hügelvölkler gewisse Umbauten vorgenommen (Wobei der Begriff Palast sicherlich etwas übertrieben war, eigentlich handelte es sich nur um ein etwas prunkvolleres Haus, eine Tatsache, die mein Neffe eher amüsiert zur Kenntnis genommen hatte). Feach beriet sich in den letzten Tagen in meinem Beisein mit den örtlichen Honoratioren, insbesondere dem Stadtrat und dem Hafenkapeeni, und bemühte sich darum, von diesem Gremium anerkannt zu werden. Zum meinem großen Erstaunen gelang ihm dies auch recht gut. Ich gab mich als alten Freund und engen Vertrauten Raju Laivuris aus (was in engem Sinne noch nicht einmal gelogen war) und auch hier war mein selbstverständlich profundes Wissen von Nutzen. Diejenigen, welchen die Tatsache bekannt war, dass es sich bei Raju Laivuri und Jethro Cunack um ein- und dieselbe Person in unterschiedlicher Gestalt handelte, wurden selbstverständlich eingeweiht und hießen mein Handeln gut, denn alle waren sie inzwischen Anhänger der Vartijala und betrachteten die Bestrebungen Astragons mit großer Sorge. Man beglückwünschte mich zu meinem Spielzug, einen Vertrauten als neuen Stadtherrn einzusetzen und selbst inkognito weiter die Geschicke zu lenken. Ich selbst wusste natürlich, dass es in Wahrheit etwas anders aussah. Auf der einen Seite vertraute ich Feach als meinem Halbneffen natürlich, allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt. Ich würde verdammt aufpassen müssen, dass er mir nicht tatsächlich das Heft aus der Hand nahm und hier mehr Geschäftigkeit entwickelte, als mir lieb sein konnte. Denn selbstverständlich war es mein Plan, irgendwann in der Zukunft wieder selbst den Platz als Herr über Shar-Tok und die syddlichen Gebiete Eleas einzunehmen. Bis dahin jedoch lag noch einiges an Arbeit, Gedanken und mit Sicherheit auch Gefahren vor mir, dessen war ich mir sicher. Meine Grübeleien wurden unterbrochen, als die Tür sich öffnete und Feach den Raum betrat. Ich bemerkte, dass zwei Krieger seiner persönlichen Wache vor der Pforte Aufstellung nahmen. Der ehemalige Hügelprinz wirkte erschöpft. Kein Wunder, ich konnte mir ungefähr vorstellen, dass die letzten Gespräche nicht leicht gewesen waren. Es gab ein paar einflussreiche Personen, die ihm nach wie vor das Recht absprachen, dass seine Behauptung, der neue Herr über Shar-Tok zu sein, irgendeine Grundlage hatte. Auf der anderen Seite bemühten sich Andere, ihm irgendwelche Konzessionen abzuringen. Letzteres hatten wir bislang beiseite schieben können, mit dem Hinweis, dass er sich erst einen gewissen Überblick über die Lage verschaffen müsse. Um den Hals meines Bruders baumelte das kääntää, ein magisches Amulett, welches ihn in die Lage versetzte, das hier gesprochene Idiom zu verstehen und zu sprechen. Des Lesens kundig machte es ihn glücklicherweise nicht, eine Tatsache, die mir insgeheim große Freude bereitete, ließ mir dies in gewissen Bereichen noch eine zumindest spärliche Kontrolle. Feach warf sich in einen freien Sessel und an seinem Gesicht war abzulesen, dass er sich das alles offensichtlich etwas leichter vorgestellt hatte. Ich meinerseits erhob mich und nahm einen Tonkrug voller olut von einem in der Nähe stehenden Schränkchen. Bei olut handelte sich um ein bierähnliches Getränk, welches hier aus der humala-Alge und einigen anderen Zutaten gebraut wurde. Wortlos schenkte ich dem Thuach na Moch einen Humpen voll und füllte auch meinen Becher. Dann nahm ich wieder Platz und sah meinen derzeitigen Besitzer fragend an. Feach nahm einen tiefen Schluck und grinste dann gequält: "Erinnere mich daran, dass ich dich bei Gelegenheit mal auspeitschen lasse, oh du mein Besitztum, weil du mir diese Köstlichkeit so lange vorenthalten hast..." Ich nickte gelangweilt und grinste meinerseits süffisant: "Erzähl was Neues, Neffe, ich bin derzeit nicht Raju Laivuri, sondern Jethro, du erinnerst dich?" "Ja ja..." Mir war natürlich völlig bewusst, dass Feach sich das alles etwas anders vorgestellt und sich wahrscheinlich diebisch darauf gefreut hatte mich, seinen angeblichen Besitz, ein wenig zu drangsalieren. Schade, Feach... Ich wurde sofort wieder ernst, denn ich wollte den Bogen nicht überspannen. Insgeheim gluckste ich allerdings vor Vergnügen. "Ich sprach soeben über den Kristallspiegel mit Arkan," änderte ich den Gegenstand des gerade begonnenen Gesprächs, "er hält sicherheitshalber im Reiche Mochs Krieger in Bereitschaft. Für den Fall, dass Astragon seinerseits im Sydd Eleas einmarschieren will, werden diese durch das Tor hierher kommen und sollten ihm eine Überraschung bereiten. Allerdings denke ich nicht, dass der Ylin Protector von Xanathon in der momentanen Lage so dumm wäre, dies zu tun." "Er weiß, wer du wirklich bist, Onkel," warf Feach ein. "Das ist um so besser für uns, denn er kannte dich nicht, hielt Raju für ausgeschaltet und weit fort. Er kann nun nicht preisgeben, wer ich bin, denn dann würde möglicherweise sein Plan mit meinem Verkauf ruchbar werden und dies wäre ein erheblicher Schaden für ihn." "Warum trittst du nicht mit mir als Leumund und mit dem Kaufvertrag als Beweis vor Deine Ylin Sankara und zeigst ihr, welchen Geistes Astragon tatsächlich ist? Und zu welchen Taten fähig?" Kopfschüttelnd erhob ich mich und begann damit, im Zimmer auf- und ab zu wandeln: "So einfach ist das nicht, Feach. Auf der einen Seite will ich den Vartijala-Konflikt nicht wirklich in die Ozeane tragen, denn dann könnte dort großer Schaden angerichtet werden. Zumindest zu diesem Zeitpunkt, denn das Wasservolk glaubt nicht an Götter und wenn sich welche auf Astragons und welche auf meine Seite schlagen, dann haben wir womöglich einen neuen Bruderkrieg in den Meeren, und das will ich um jeden Preis vermeiden. Auf der anderen Seite kann ich auf diese Weise viel besser in meinem und Vartijalas Sinne tätig werden, ohne dass Astragon Raju Laivuri als Angriffspunkt hat. So muss er gegen Shar-Tok ziehen und kann seine Machenschaften und Beweggründe nicht an meiner Person festmachen." "Er könnte es dennoch tun und als Grund für sein Eingreifen anführen, dass nun Fremde hier auf dem Stadtherrenthron sitzen." "Das soll er versuchen. Boten verbreiten bereits zu diesem Zeitpunkt auf Elea und in den Protektoraten, dass der neue Stadtherr von Shar-Tok rechtens eingesetzt wurde und nur solange herrscht, bis Raju Laivuri, der verschollen aber nicht tot ist, hier wieder erscheinen kann." Feach drehte seinen Humpen in der Hand und starrte versonnen auf den verschwindenden olut-Schaum darin: "Aber was ist mit den Ozeanen? Werden die Wasservölkler nicht ihren obersten Krieger, ihren Ylin Amiraali, vermissen?" "Nicht in der nahen Zukunft, ich bin dafür bekannt, bisweilen für längere Zeit zu verschwinden. Mein handverlesener Stellvertreter dort versteht sein Gewerbe und kann Raju Laivuris Geschäfte ohne Schwierigkeiten weiterführen." Mit einem Zug leerte mein Neffe seinen Becher: "Gut, dann können wir uns ja weiter damit beschäftigen, die Lage hier zu festigen." "Nicht wir, du," entgegnete ich kopfschüttelnd, "ich werde mich auf den Weg ins Reich der Naturgeister machen, um dort nach weiterem Beistand zu suchen. Du bist mit der Lage hier inzwischen soweit vertraut, dass ich es mir leisten kann, dich allein weitermachen zu lassen. Und wir benötigen dringend weitere Verbündete für uns und Vartijala, denn irgendwann wird Astragon zum letzten Mittel greifen. Und dann können wir alle Freunde brauchen, die wir bis dahin erreichen konnten. Ich werde morgen aufbrechen!" "Morgen??? Aber... Ich habe noch nicht genügend Überblick, um..." "Morgen! Ich werde dir Sami Lapio zur Seite stellen. Er ist ein Magiekundiger und hat die hiesige Stadtwache bereits des Öfteren bei irgendwelchen Verbrechen beratend unterstützt. Ich glaube, ich kenne keinen helleren Kopf hier, als ihn. Er ist bereits von mir eingeweiht worden. Du kannst ihm so vertrauen, wie du mir vertraust." Bei den letzten Worten gönnte ich mir ein vielsagendes Grinsen. Der Ausdruck in Feachs Gesicht entschädigte mich für manches, was mir in letzter Zeit widerfahren war. Ende Holzi
1999 |