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Vorurteile

Diese Geschichte spielt um das Jahr 36 n.d.F. Kurz zuvor hatte Clanthon seine alte Heimat zurückerhalten und der "Ruf nach Rückkehr in die Heimat" wurde zu den clanthonischen Flüchtlingen in alle Länder Magiras entsandt.

Der Hafen von Jarnigard lag im Abendlicht. Taschira übergab Tomas den Umschlag aus Segeltuch. Ihr Wappen mit dem Schlangendrachen zeichnete sich klar im Wachs ab.
"Tomas, es ist Zufall gewesen, daß mich mein Weg in die Westliche Welt mich in diese Stadt geführt hat, genauso wie es nicht abzusehen war, daß wir uns kennenlernen würden. Aber es ist gut!"
Die designierte Gesandte lächelte dem hochgewachsenen Blonden zu.
Es war wirklich ein Zufall gewesen, daß sie in einer Kneipe, die walischer nicht sein konnte, den Sprecher der clanthonischen Flüchtlinge unter dem Schirm der Bognaren getroffen hatte.
Und ein glücklicher Zufall. Denn so konnte sie auch ihn zur Rückkehr in die Heimat, wo harte Arbeit wartete, auffordern. Die gleiche Aufforderung, die sie nach Neu-Descaer bringen wollte.
Nach Neu-Descaer, wo es die Kriegsflüchtlinge so gut getroffen hatten, daß sie nicht mehr nach Clanthon zurückkehren wollten.
"Dieses Schreiben" - ein Blatt zusammengefaltetes und gesiegeltes Bütten wechselte mit diesen Worten in die Hand des clanthonischen Seemanns - "ist ein Geldanweisung. Sie ist von der clanthonischen Obrigkeit gezeichnet. Sie wird dem Kapitän, der euch und eure Leute befördert, die Bezahlung sichern. Genau wie dieses Paket ein Empfehlungsschreiben an den Truchseß enthält."
Tomas nickte bedächtig. "Ich danke euch, Frau Taschira. Wir werden uns sobald wie möglich auf den Weg machen. Ich danke euch für eure Freundlichkeit und hoffe, wir sehen uns wieder."
Taschira lächelte. "Mir liegt das Wohlergehen meiner Landsleute am Herzen. Es ist nichts. Aber ich glaube nicht, daß wir uns wiedersehen. Mein Weg führt in die Westliche Welt."
Die beiden Clanthonier schüttelten sich die Hände, und jeder ging seiner Weg.
Taschira stieg auf ihr Schiff, und Tomas machte sich auf, den Hafenmeister zu suchen. Ein feines Lächeln lag auf seinen Lippen. Er würde die tausend clanthonischen Flüchtlinge aus dem Renjurd in die Zukunft führen.



Es war ein erhebender Anblick, als sich das walische Langboot langsam aus dem morgendlichen Nebel herausschälte und in einem eleganten Bogen auf den kleinen Hafen von Neu-Descaer zuhielt. Die clanthonischen Fischer in ihren kleinen Booten, die auf dem "Blausilber" ihrer Arbeit nachgingen, stockte der Atem. "Walis", schoß es ihnen durch die Köpfe. "Die gefürchteten Piraten und Plünderer sind bis nach Neu-Descaer vorgedrungen." Manch einen ergriff Panik. Schnell wurden Boote weiter hinein in den Nebel gerudert, während andere, mit dem Mut der Verzweiflung ebenfalls schnell auf den Strand zugesteuert wurden von Menschen in der Hoffnung ihre Familien retten, oder wenn es nötig war, verteidigen zu können.
Jalmur, der am Heck des Schiffes neben Snjörd stand, hatte es für eine gute Idee gehalten, mit ihm und seiner Mannschaft nach Neu-Descaer zu fahren. "Dort sind Menschen", hatte er Snjörd versprochen. Da das Schiff einige Tage auf Rückfracht in Titania hätte warten müssen, wurde Jalmurs Vorschlag begeistert aufgenommen. Zudem hatte der Skalde von dem hervorragenden clanthonischen Bier erzählt. "Mehr als ein Grund, sich das Städtchen einmal näher anzuschauen," hatte Snjörd gesagt.

So also legte das Langboot begleitet von dem begeisterten Gejohle der Bognaren am Kai an.
Den Fischern, die natürlich von all dem nichts wußten, gefror das Blut in den Adern. "Wie nur können wir sie aufhalten, verhindern, daß sie all das, was wir mit Schweiß und Blut bezahlt haben, vernichten?" Die Geschichten, die man kannte, man den kleinen Kindern zur Warnung erzählte, zeichneten ein deutliches Bild von den Walis. Wild, brutal, niemanden verpflichte und keinem Gewissen unterworfen, so waren sie, die Seefahrer aus den Legenden.

Jalmur verabschiedete sich vor Verlassen des Schiffs noch von Krawax, dem Klabauter, und dankte in Snjörds Namen für die sichere Passage. Erst nachdem der Naturgeist das Langboot mit einem leisen "Platsch" verlassen hatte, ging der Skalde über einen schmalen Holzsteg an Land. Er hatte die Mannschaft darum gebeten, als erster gehen zu dürfen, um, wie er es ausdrückte, die Formalitäten zu klären. Kjelt, den riesigen Krieger, hatte er sogar angewiesen, ihm nur im äußersten Notfall, wenn es zum Kampf kommen sollte, zu folgen. Kjelt fügte sich Jalmurs Gebot; doch wartete er als einziger außerhalb des Langbootes am Steg. Bereit, Jalmur zur Hilfe zu eilen und sofort in einen Kampf eingreifen zu können.

Gregor, der nach einer Nacht mit zuviel Neuler Bräu nicht sein übliches gutgelauntes, tatkräftiges Selbst war, kroch aus seiner Hütte ins Sonnenlicht, als er die Geräusche nicht mehr ignorieren konnte. Da war ein Schiff angekommen ... Wer, in des Weltenschöpfers Namen, konnte das sein? Bettinas Barke würde nicht vor ...
Weltenschöpfer! Ein Langschiff. Ein walisches Langschiff! Gregor taumelte rückwärts, hielt sich am Türpfosten fest. Ein schneller Griff mit der freien Hand an den Gürtel brachte die Erinnerung zurück. Er trug keine Waffe ... wie jeder Mann und jede Frau in Neu-Descaer war er diesem Gebot der Friedfertigkeit unterworfen.
Alles was er hatte, war seine Dienstwaffe, die im Moment in seinem Kontor auf dem Regal lag. Im Anbetracht des gewaltig großen Kriegers, der auf ihn zustapfte, war das ein selten dämlicher Ort, um eine Waffe zu verwahren.
Aber ... er war im Dienst. So straffte sich Gregor, richtete sich hoch auf, und trat dem Fremden entgegen. (Außerdem wäre das der erste Angriff, von dem Gregor gehört hatte, bei dem die Walis ruhig (wenn auch mit gierigem Gesichtsausdruck) in ihrem Boot gewartet hätten, während ein einzelner Mann an Land ging.

Dieser Mann ging zügig und mit festem Schnitt auf die einzige Person in Neu-Descaer zu, die sich anscheinend nicht beim Anblick des Langbootes verängstigt zurückzog.

‚Verdammt!', dachte Jalmur. ‚Das wird schwieriger, als ich erwartet habe.'

Der Ruf der Walis als wilde, plündernde Wölfe der See galt auch noch hier, weit entfernt vom Hymir. Das hatte er nicht erwartet. Vielleicht mischten sich ja bei diesen Flüchtlingen aus Clanthon die Erinnerung an Kriegsgeschehen und Vertreibung von Agenieron mit dem, was man rund um den Hymir nicht ohne Grund über die Walis erzählte.
Und die über dem Meer aufgehende Sonne ließ die Bürger von Neu-Descaer nur undeutlich erkennen, was auf dem Langboot vor sich ging. Das diffuse Gegenlicht ließ die Walis in den Augen der Clanthonier eine Spur größer und wilder erscheinen, als es eigentlich der Fall war.

‚Aber das Binnenmeer ist nicht der Hymir; und Neu-Westurgoi ist nicht Waligoi.', waren Jalmurs Gedanken. ‚Hier hatten viele Walis einen vollen Bauch und somit keinen Grund, regelmäßig auf Plünderfahrt zu gehen. Und wenn, dann gehen sie nicht an die Küsten des Naturgeisterreiches. Wenn Snjörd und seine Besatzung nur nicht so brüllen würden.'

Es war nur zu verständlich, daß bei dem Gejohle der Krieger die Bauern und Fischer, die Frauen, Kinder und Greise erst einmal den Schutz ihrer Häuser aufsuchen. Doch bald würden die ersten Mutigen unter ihnen mit Schwertern, Äxten, Mistgabeln und Küchengerät bewaffnet zurückkommen.
Die Gestalt, die ihm vorsichtig entgegenging, hätte jetzt auch lieber eine Waffe dabei. Jalmur war nicht entgangen, daß der Griff von Gregor an die Stelle seines Gürtels ging, wo sonst seine Waffe war.

‚Möglicherweise ist er so etwas wie der Häuptling von Neu-Descaer. Vielleicht ist er aber auch nur ein einfacher Schweinehirte oder gar der Dorftrottel. Zumindest ist dieser mutige Mann der Einzige, der mit mir reden will.' Jalmur wurde zuversichtlicher. ‚Ich muß ihm also nur klar machen, daß ich selbst bis auf das Messer an meinem Gürtel unbewaffnet bin. Und daß die gröhlende Meute auf dem Langboot sich nur an dem guten Bier, was hier gebraut wird, gütlich tun will. Und wenn du der Häuptling bist, habe ich eine Botschaft für dich.'

Dann standen sie sich gegenüber.
Jalmur war unsicher, wie er anfangen sollte. Doch auch Gregor, der den Wali um einen halben Kopf überragte, wußte auch nicht so recht, was er tun sollte.

‚Bei Hyldir.', dachte Jalmur. ‚Jetzt gibt es eh' kein Zurück mehr. Diese Situation muß schnell geklärt werden. Sonst gibt es womöglich noch ein Blutbad. Spätestens, wenn sich genug Clanthonier mit Waffen zeigen und auf mich losgehen. Hoffentlich kann ich dem Clanthonier vor mir mit den paar Worten seiner Sprache, die ich in Titania gelernt habe, klar machen, daß wir in Frieden kommen.'

Jalmur zeigte Gregor seine leeren Hände. Dann streckte er dem Clanthonier die Rechte zum Gruß entgegen.

"Yrr Kvedret!", sagte Jalmur laut. "Sei gegrüßt, Clanthonier."
Ab jetzt setzte er beide Hände gestikulierend zur Unterstützung seiner Worte ein.
"Mein Name Jalmur. Ich Wali-Skalde. Ich Wali-Botschafter in Titania."

Gregors Gesichtszüge entspannten sich, als wäre er gerade von einer großen Last befreit worden. Nun fing auch er an zu sprechen.

"Herr, hier in..."

Ein Aufschrei unterbrach die Rede des Hafenmeisters. Ein Aufschrei, der durch das Gejohle der Schiffahrer schrill hindurchschallte.

Wie ein Mann drehten Jalmur und Gregor sich um.

Die Männer auf dem Boot waren verstummt. Sie starrten den jungen Hifner am Ruder an. Er lehnt bleich gegen die Ruderbank, ein Pfeil ragte aus seiner Brust.

Gregors Augen suchten das Ufer ab. Oben auf der Böschung stand Klaus, der halbwüchsige Sohn von Karl dem Weber. In seinen Kinderhänden hielt er einen Bogen, der fast größer war als er selbst. Während Gregor ihn ansah, verwandelte sich auf seinem Gesicht die Freude, Neu-Descaer geschützt zu haben, in schieres Entsetzen, einen Menschen verletzt zu haben.

Zwei Walis beugten sich über den getroffenen Kameraden. Schwach hob Hifner die Hand. Seine Finger zitterten. Wie unter Zwang tastete er nach dem Schaft.
"Nein, nicht!" fuhr ihn Snjörd an.

"Weltenschöpfer, nein!" murmelte Gregor.

Jalmur warf sich herum und rannte zurück aufs Schiff. Gregor folgte ihm auf den Fuß. Kjelt wich er instinktiv aus und landete neben dem Skalden auf den Planken des Bootes.
Sofort änderte sich die Haltung der Seemänner. Messer wurden gezogen, lautlose Drohung stand in ihren Augen. Gregors Leben hing an einem Faden.

"Kjelt, nein!", schrie Jalmur seinem selbsternannten Leibwächter zu. Als Gregor sich umblickte, sah er gerade noch, wie der angesprochene Krieger seine riesige Axt langsam senkte.

"Behaltet das Ufer im Auge!", rief Snjörd seiner Besatzung zu.
"Und bleibt vorerst an Bord!", ergänzte Jalmur.
Die Walis kamen murrend dem Befehl ihres Kapitäns und des adligen Skalden nach. Dabei wurden die Messer gegen Schild, Axt und Ger getauscht. Bei einigen Walis sah Gregor auch ein Langschwert. Und wieder andere machten ihre Bögen bereit.

Doch der schlimmste Anblick für Gregor war die Haltung des Kriegers, der Kjelt genannt wurde. Dieser stand neben ihm. Und er schien nur darauf zu warten, daß Gregor irgend eine falsche Bewegung machte.

Jalmur, Snjörd und zwei weitere Walis waren bei dem verletzten Hifner. Die Wunde blutete nicht stark, aber beständig. Sie machten ernste Gesichter. "Die Wunde scheint nicht tief zu sein. Aber die Pfeilspitze könnte in einem Knochen steckengeblieben sein. Dann bekommen wir den Pfeil nicht sauber aus der Wunde. Und vielleicht verletzen wir ihn noch mehr."
Gregor war der walischen Sprache nicht mächtig. Aber der Ton dieser Worte und die Sorge um den Verletzten ließ ihn erahnen, daß sie sich über seine Wunde unterhielten.

Jalmur wandte sich Gregor zu und fragte mit ernster Stimme: "Du bist Wundheiler?"
Der drohende Unterton der Frage ließ schlimme Konsequenzen erahnen, wenn der Verwundete an seiner Verletzung sterben würde.

Gregor blickte von dem sehnigen Skalden zu dem weinenden Schützen am Ufer, um das sich weitere Clanthonier geschart hatten. Auch diese Männer, und auch die Frauen aus Neu-Descaer waren bewaffnet.
Nur die Breite des Anlegesteges und die Höhe der Böschung trennten die Gruppen, und ein niedriger Holzzaun, der das Hafengebiet abtrennte.

"Wir - haben - einen - Wundheiler!" erklärte der Hafenmeister. Seine Gedanken rasten. Was war nun bloß das Richtige zu sagen?

Die Menge teilte sich. Ein dunkelhaariger, großer Mann trat hervor. In seinem Rücken verstummten die Menschen. Er trug ein blaues Wams und das Einhorn Clanthons in Gold auf der Brust.
"Halt! Was geht hier vor?"
Der junge Stadtherr rannte auf den Kai hinaus, setzte mit einem Sprung über den Zaun und landete vor dem Schiff auf den Füßen.
Als Antwort surrte ein Pfeil herüber und schlug vor seinen Füßen in das Holz des Kais ein.

"Frieden!" rief er auf Allanan Estrivel. "Ich bin Darien Schmiedesohn, Stadtherr von Neu-Descaer!"
Die emporgehobenen Hände symbolisierten Frieden.

Klaus rief, die Hand seines Onkel Ottokar auf der Schulter: "Es tut mir leid! Ich wollte es nicht!"

Darien trat vorsichtig an die Planke. Die Blicke der Walis richteten sich auf ihn.

"Frieden!" rief er. Dann machte er eine Schritt die Planke hinauf.

Das Holz aller Bogen knarrte, als die Walis diese zum Schuß spannten. Bis auf Jalmur hatte niemand verstanden, was dieser Clanthonier, der ihnen etwas zu schnell auf das Langboot zukam, gesagt hatte.

"Haltet ein!", rief Jalmur den Walis zu. "Dieser Mann kommt in Frieden."
Er war sichtlich überrascht, außerhalb Titanias und dazu noch von einem Menschen einige Worte in Allanan Estrivel zu vernehmen. Während die Bögen sich langsam wieder entspannten, war er mit einem Satz an der Planke.

"Yrr Kvedret! Sei gegrüßt.", entgegnete er dem Clanthonier. Dann streckte er ihm seine Hand entgegen und sprach in Allanan Estrivel: "Frieden! Komme an Bord."

Darien ergriff die Hand und Jalmur und ließ sich die letzten zwei Schritt auf das Langboot ziehen. Die Walis machten ihm Platz. Aber sie waren angesichts der Menschenmenge am Kai immer noch zu einem Kampf bereit. Und nun ergriff langsam ein mürrisches Raunen das Langschiff.

"Sag den Bürgern, sie sollen nicht zu nah kommen." Jalmurs Worte war barsch aus gesprochen. "Besser, sie entfernen sich noch ein Paar Schritt vom Schiff." Und etwas sorgenvoller ließ er langsam folgen: "Sei vorsichtig mit dem, was du tust."

"Er ist ein Kindling", erklärte Darien. Sein Herz schlug schneller, als er zugeben wollte. Die Situation war bedrohlicher, als alles, was in den letzten drei Jahren geschehen war (sah man einmal von der Ankunft seiner Schwester ab).
Dann hob Darien die Arme, reckte sie in die Himmel. "Yrr Kvedret!" rief er (und erschöpfte damit fast seinen gesamten walischen Wortschatz - und "Met a-rárr!" wäre in dieser Situation wirklich nicht angemessen gewesen).
"Gast", fuhr er daher in der Sprache der Naturgeister fort. "Wir werden Heilung bringen für euren Freund. Wir fehlten. Verzeiht." Er neigte - als Geste, die, so hoffte er, auch die anderen Männer an Bord verstehen würden - den Kopf vor dem Fremden. "Bitte, betretet die Stadt in Frieden."
Er deutete auf den Verletzten und versuchte dann mit Gesten anzudeuten, daß man ihn vom Schiff tragen solle.
Ein weiterer Mann, jung und blond, in Begleitung einer Frau jenseits der Dreißig betrat den Kai.
Jalmur erkannte die clanthonische Botschafterin.

"Heiler - Severian!" erklärte Darien. "Schwester, Taschira, aus Titania!"
"Jalmur!" rief Taschira.

"Yrr Kvedret, Taschira.", brüllte Jalmur über den Kai und winkte der angesprochenen Person zu. "Kommt an Bord." Das einladende, gestikulierende Winken war für die Walis gedacht, die schon wieder ihre Bögen spannten.

Und zu Darien gewand sagte er: "Es ist besser, wenn wir die Wunde erst einmal hier auf dem Schiff behandeln. Damit den Männern hier" - seine Hände deuteten auf die Besatzung - "gezeigt wird, daß ihr helfen wollt. Sie müssen erst wieder etwas Vertrauen in euch Clanthonier gewinnen, bevor ich einen von ihnen an Land gehen lassen kann, ohne daß er jemandem den Schädel einschlägt."

Taschira nickte und redete mit dem Mann an ihrer Seite; gemeinsam betraten sie sodann das Schiff, auf dem Jalmur den Männern gerade erklärte, daß nun der erwartete Heiler käme.

Mißtrauen begleitete jede Handlung des Heilers. Als er mit einem Ruck den Pfeil aus der Wunde zog, zogen einige der Kameraden hörbar die Luft ein.
Hifner biß sich auf die Unterlippe, um nicht zu schreien.
Taschira nahm Severian, der begann, die Wunde mit Kräutern und sauberem Tuch zu bedecken, den Pfeil aus der Hand.
Auf der offenen Hand zeigte sie ihn den versammelten Seemännern. Ihr Walisch war alles andere als fehlerfrei, aber es war verständlich. Und der angeschärftete Pfeil ohne jede metallene Spitze sprach noch eine eindeutigere Sprache. "Waffe von Kind. Kind in Angst. Großer Mann und Krieger bald wieder gesund mit viel Met. Wie ihr alle. Ihr meine Gäste für Met, Bier und Fleisch."
Dann drehte sie sich zu Jalmur um, der mit Darien herangetreten war. "Gut?" fragte sie.

"Gut!", grinste Jalmur.
Dann richteten sich seine Worte an die Besatzung: "Legt die Waffen nieder."
Erst zögerlich legten die ersten Männer ihre Waffen weg. Aber dann wurden die Bögen entspannt und auch die restlichen Waffen und Schilde verschwanden. Jalmur nickte Snjörd zu.
"Männer!", rief der Kapitän. "Ihr habt's gehört. Wir sind gerade zu Speis und Trank eingeladen worden. Wollen wir diesen braven Leuten mal zeigen, wie man nach guter walischer Sitte eine Einladung zu einer Feier annimmt?"

"JAAA!", brüllte es dem Kapitän und den Clanthoniern aus vielen Kehlen entgegen. Snjörd sprang an Land und seine Besatzung stürmte ihm hinterher. Dabei hakten zwei Walis den verletzen Hifner unter. Severian wollte noch einen Rat über die Behandlung der Wunde loswerden. Doch bevor der Heiler seinen Satz richtig ausgesprochen hatte, standen nur noch er, Gregor, Taschira, Kjelt und Jalmur an Bord.

"Ich denke, bis auf ein paar Raufereien wird das hier friedlich ablaufen.", sagte Jalmur zu Taschira. "Das Gastrecht ist bei den Walis hoch angesehen. Wenn es auch manchmal rauh und herzlich zugeht. Doch ich habe noch etwas für euch."
Jalmur holte einen kleinen Lederbeutel aus seiner Gürteltasche. Salzwasser hatte ihn angegriffen und das Leder fleckig werden lassen.
Dieser Beutel schien eine lange Reise hinter sich zu haben.
"Ein gewisser Tomas schickt euch diesen Beutel Erde." Jalmur übergab den Lederbeutel an Taschira, die ihn vor Überraschung beinahe fallenließ.
Grinsend fügte Jalmur hinzu: "Und Tomas sagt, daß viele Hundert ihm folgen werden!"

Dann drehte er sich um und ging mit Kjelt an Land.
Taschira blickte ihm mit offenem Mund hinterher. Sie konnte noch nicht so recht glauben, was sie soeben gehört hatte. Doch der unansehnliche Lederbeutel in ihren Händen, der mit clanthonischer Heimaterde gefüllt war, besiegelte diese Botschaft als wäre es ein Schreiben von Mölbarth persönlich.

Jalmur mußte sich zurückhalten, um nicht laut loszulachen.
Kjelt blickte den leise vor sich hinlachenden Skalden fragend an. Er verstand nicht, was an dem schäbigen Lederbeutel so witzig war. Doch er hatte an der Seite Jalmurs in Titania gesehen, daß es sehr viele Dinge gab, die er nicht verstand. Und er hatte gelernt, vieles Unbekannte so hinzunehmen, wie es war. Mit einem Schulterzucken akzeptierte er Jalmurs gute Laune. Schließlich stand jetzt ein reichhaltiges Frühstück an. Und Kjelt würde ausgiebig das clanthonische Bier trinken, das Jalmur den Walis zu Anfang dieser Reise versprochen hatte.



Taschira schwankte leicht. Sie drehte sich um. Darien hatte keine Ahnung, um was es ging. Wieso seine Schwester plötzlich die Stirn gegen seine Schulter lehnte, war ihm ein Rätsel.
"Geht nach Clanthon, hab ich gesagt", flüsterte Taschira "Geht nach Clanthon ..."
Darien tätschelte beruhigend Taschiras Rücken.
"Nein, nein", murmelte er begütigend. "Das haben wir doch hinter uns. Neu-Descaer ist und bleibt die Heimat der Geflohenen!"

Taschira sah auf, ihren Bruder an. Dann ging ihr Blick an ihm vorbei, den Wesiti hinauf. Ein Segel war dort zu erkennen, und dahinter noch eines.
Sie wußte, daß würden nur wenige sein, für die Schiffspassage gefunden worden war. Mehr würden über Land kommen.
Tausend Männer und Frauen aus Clanthon via Waligoi.
"Ist, bleibt und ... wird", wiederholte und ergänzte sie die Worte ihres Bruder. Dann begann sie zu lachen. Laut, haltlos und lange.

Als sie sich endlich wieder beruhigte, war sie völlig außer Atem. Tränen liefen über ihre Wangen. "...und wird!" wiederholte sie nochmal.
Sie schlug dem irritierten Darien aufmunternd auf den Arm und holte dann tief Luft. "Kommt, Stadtherr, die Bewirtung von ein paar Dutzend Walis dürfte nur die Übung sein für das, was kommen wird."

"Kommen wird?" echote Dari.
Wortlos hob Taschira die Hand und wies den Fluß hinab.

Die Sonne stand noch immer tief. Ihre blaßgoldenen Strahlen glitzerten auf den Bugwellen der beiden Langbote. Ließ die sich wie Schindeln überlappenden Planken leuchten. Und küßte das Banner, daß sich am Bug des führenden Schiffes knatternd entfaltete.
Gold auf Schwarz grüßte das Einhorn herüber.

Taschira und Darien sahen sich mit leuchtenden Augen an.
Hand in Hand - in seltener Eintracht - verließen sie das walileere Schiff, um die Stadt auf das vorzubereiten, was noch kommen mochte.

"Du, Dari?" fragte sinnend. "Wieviele Flüchtlinge sind eigentlich in die Welt geschickt worden?"

Vanyar / Jalmur / Zorn
2000