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Säue lochen

"Nein, Lirielle, nein! Das hast du vollkommen missverstanden!" Crysalgira schüttelte schon ziemlich entnervt den Kopf.
"Aber - wieso? Der Erzdingens - wieso eigentlich Erz, hat das was mit seiner Rüstung aus Metall zu tun?"
Tief seufzend schenkt sich Crysalgira erst einmal einen Becher Wein ein. Das würde ein längerer Abend werden .... "Also, Lirielle, Egbert trägt den Titel Erzherzog, nein, das hat nichts mit Metall zu tun, sondern damit, dass manchen menschlichen Titeln die Silbe Erz- vorangestellt wird, um einen besonders hohen Rang auszudrücken, das kommt aus einer nur noch Gelehrten bekannten Sprache, dem Alt-Wolsischen -"
Ungeduldig schlug Lirielle mit den Flügeln. "Gut, gut, Erzherzog also, ohne Metall - jedenfalls hat er gesagt, dass ab sofort Naturgeister Säue lochen dürfen, also darf ich das auch!" Überzeugt von der Logik ihrer Argumentation faltete sie ihre Flügel wieder ein, ließ sich auf der Tischkante nieder und nahm ihren kleinen Weinbecher zur Hand. "Lirielle, das war doch nur eine Anspielung auf das, was beim letzten Fest des Friedens geschehen ist! Du erinnerst dich doch? Als Clanthons Führung wieder einmal nicht wusste, wie sie all die hungrigen Mäuler ihres Trosses und der geladenen Gäste sattbekommen sollten? Da haben sie in einem lichten Moment die Naturgeister um Hilfe gebeten und Vanyar, der ja sehr viel Erfahrung in der Bewirtung von Gästen hat, hat ihnen mit seinem Wissen und seiner großen körperlichen Kraft geholfen, gemeinsam mit Cendrasch und Lainam." Crysalgira unterbrach sich, um sicherzugehen, dass Lirielle ihr so weit zugehört hatte.
"Ach, du meinst das ganze gebratene Schwein? Wo sie die tiefe Grube ausgehoben und all unsere Holzkohle gebraucht haben, damit das Riesenvieh gar wurde?" Crysalgira nickte. "Wie hat das Schwein eigentlich geschmeckt, als es endlich fertig war?"
"Ich weiß es nicht, ich habe nicht davon gegessen, aber Cserni Cserski meinte, es sei recht wohlschmeckend gewesen."
"Das heißt nicht viel, der isst doch alles ..."
"Lirielle!!" Crysalgira bemühte sich um einen mahnenen Ton, konnte aber ihr Lachen nicht unterdrücken. "Ja, um dieses gebratene Schwein ging es - auf clanthonisch nennen sie so etwas eben ‚Sau' - und mit ‚lochen' war die Grube gemeint, in der es zubereitet wurde. Vermutlich wollte Egbert auf dem Herbstfest irgendwie seine Dankbarkeit für die Hilfe ausdrücken ... ich fand es, nunja, ein wenig seltsam ... aber Vanyar hat sich gefreut, wohl deswegen, weil es selten genug vorkommt, dass Menschen sich bei Naturgeistern für irgendetwas bedanken."
"Crys, das stimmt doch gar nicht! Die Menschen hier in Neu-Descaer sagen ständig "Danke!" für jede Kleinigkeit, manches Mal fallen sie mir damit schon auf die Nerven ..."
Crysalgira lächelte. "Ja, hier benehmen sich die Menschen ein wenig anders als im Rest Magiras ... und es ist gut so. Besser, ein paar Mal zu oft bedankt als achtlos zu sein."

Lirielle hatte sich daran gewöhnt, dass ihre Freundin gelegentlich mitten im Gespräch verstummte. Bei sich nannte sie das "Crysalgira schaut nach innen". Sie wusste, dass die Menschenfrau dann ihren Gedanken nachhing, die sie nur allzu oft zurück in die Vergangenheit führten.
"Komm, lass uns in den Garten gehen! Heute war so ein schöner Tag, bestimmt blühen die Sternblumen heute in der Dämmerung auf." Sie zog an Crysalgiras Hand und nach einigen Augenblicken stand diese auf.
"Ja, wir können unseren Wein genauso gut draußen trinken."

Blaue Dämmerung begrüßte die beiden. Rosen dufteten, Glühwürmchen schwirrten durch die Luft und ein paar Nachtfalter tanzten dazwischen. Tatsächlich waren die Sternblumen erblüht und funkelten mit den ersten Sternen am Himmel um die Wette. Die friedliche Stille drang tief in Crysalgiras Herz - aber sie hielt nicht lange an ...
"Also, darf ich jetzt Säue lochen oder nicht?" Die Kleinfee konnte ziemlich hartnäckig sein. "Lirielle, wie kommst du eigentlich auf einmal auf dieses Thema? Das Herbstfest ist doch nun schon wieder ein halbes Jahr vorbei ..." Lirielle blieb stumm. Bei einem Menschen hätte Crysalgira vermutet, dass er verlegen zu sein schien. "Lirielle?"
"Jemand hat mich daran erinnert", kam dann. "Weil ja bald wieder das Fest des Friedens stattfindet und da sicher auch wieder Clanthonier kommen und vielleicht wieder Säue gelocht werden müssen ...."
Crysalgira verstand gar nichts mehr. "Jemand hat dich erinnert? Wer?" Keine Antwort. Crysalgira überlegte, wer von denen, mit denen Lirielle in den letzten Tagen gesprochen hatte, auf dem Herbstfest gewesen war. Ihr wollte niemand einfallen. Außer - oh nein! "Lirielle, hat Cserni Cserski mit dir gesprochen? Was hat er dir denn gesagt?! Egal, was immer er dir gesagt hat, denke bitte nicht einmal daran, in irgendjemanden Löcher zu machen, hörst du!?"

"Frau Crysalgira! Seid Ihr da? Bei Mirana haben die Wehen eingesetzt!" Ein sichtlich unruhiger Sigmund stand am Gartenzaun. "Ich komme schon, Sigmund, ich hole nur meine Kräutertasche! - Lirielle, ich gehe jetzt zu Mirana, ich werde wohl ein paar Stunden fort sein, auch wenn's beim zweiten Kind nicht mehr so lange dauern sollte ..." Die letzten Worte tönten schon aus dem großen Zimmer und gleich darauf fiel die Eingangstüre ins Schloss.

Lirielle blieb allein bei den Sternblumen zurück. Sie entfaltete ihre Flügel und flog mit den Nachtfaltern davon. Viel zu leise, als dass ein Menschenohr sie hätte hören können, murmelte sie: "Aber Cerni Cserski, und nicht nur er, sagt doch immer, dass manche Menschen Schweine sind .... und vielleicht hat er Recht ...also nur um ganz sicherzugehen ...."

Copyright © 2010 by Crysalgira