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Eine kleine Geschichte aus dem Naturgeisterreich Es war eine stürmische Nacht und das Meer hatte sich in einen kochenden Hexenkessel verwandelt. Das schmale Schiff schlingerte von einem Wellental in das nächste, während meterhohe Wellen über das Deck spülten. Es war kein Licht an Deck zu sehen und die Segel hingen teilweise schon in Fetzen. Dennoch hielt das Schiff unverändert seinen Kurs auf die nahe Küste bei. Selbst in der wilden Brandung trotzte es widernatürlich den Kräften, die auf es einwirkten und lief ruhig in die natürliche Felsenbucht ein. Es war die Küste des Tieflandstreifens "Dalan ido Lhur", der zum Reich der Naturgeister gehörte. Schon bald darauf wurde ein kleines Boot zu Wasser gelassen. Dunkle Gestalten ruderten ans Ufer, zogen das Boot an Land und verschwanden in der Dunkelheit. Leora und Kari waren zwei junge Leute aus einem Fischerdorf an der Küste von "Dalan ido Lhur". Den Menschen war es von den Naturgeistern gestattet worden, hier zu leben. Keine Seite störte die andere, da die Menschen nur ein einfaches Leben führten und vom Fischfang lebten. Sie lebten im Einklang mit der Natur und betrieben keinen Raubbau an ihr. Also wurden sie von den Naturgeistern akzeptiert. Selten verirrte sich einmal ein Waldläufer auf der Durchreise in das Dorf und so blieben die Menschen weitestgehend unter sich. Leora und ihr Verlobter Kari waren ein Liebespaar und wanderten gern in den Dünen rings um das Dorf umher. So auch in dieser stürmischen Nacht, als sie verschwanden. Am nächsten Morgen erschienen sie nicht zum gemeinsamen Frühstück. Ihre Eltern machten sich jedoch erst ernsthafte Sorgen, als die beiden bis zum Mittag nicht gesehen wurden. Kari hätte als Sohn eines Fischers schon früh am Morgen mit den anderen Männern aufs Meer fahren und Leora ihrer Mutter beim Wäschewaschen helfen sollen. Die Frauen des Dorfes und die wenigen verbliebenen Männer durchsuchten das Dorf und die nähere Umgebung, aber sie konnten von den beiden keine Spur entdecken. Gegen Abend beratschlagten sich die Dorfbewohner und entschieden sich die Naturgeister um Hilfe zu ersuchen, da hier ja etwas ganz ungewöhnliches geschehen sei. Am Morgen des nächsten Tages brach eine Abordnung des Dorfes in Richtung "Titania", der nächstbekannten Stadt, in der es Naturgeister geben sollte, auf. Es waren die beiden Väter der vermissten Jugendlichen. Schon auf halbem Wege begegnete ihnen ein seltenes Pärchen: Ein Zwerg mit einem Muli und eine schöne Elfe, die neben dem Zwerg einherging. Die beiden Menschen näherten sich vorsichtig den Naturgeistern, die offenbar in ein hitziges Gespräch vertieft waren. Zaghaft versuchte der Vater von Leora das Gespräch zu unterbrechen und sich vorzustellen. Zuerst schien seine Stimme in dem Streitgespräch unterzugehen, dann jedoch, wie auf Kommando, unterbrachen die Elfe und der Zwerg den Disput und sahen die beiden zurückhaltenden Menschen an. Die Menschen blickten ehrfurchtsvoll zu den beiden Naturgeistern: Die schlanke, aber wohlgeformte Elfe, deren feines Gesicht von wallenden rotbraunen Haaren eingerahmt wurde und die mit ihren mandelbraunen Augen herausfordernde Blicke auf sie warf. Sie trug eine schützende Lederkleidung, ein kurzes Schwert und hatte einen Bogen mitsamt pfeilgefülltem Köcher dabei. Der kurze, aber sehr stämmige Zwerg erschien mehr wie ein belebter Felsbrocken, denn wie ein lebendiges Wesen. Er trug ebenfalls eine Art Lederkleidung; am auffälligsten waren neben seinem langen Bart jedoch seine Lederschürze und der große Schmiedehammer, der nebst einiger anderer Ausrüstung am Sattel des Mulis befestigt war. Er blickte eher missgelaunt drein, so als hätten die beiden Menschen ihn bei der wichtigsten Sache der Welt gestört. Nach kurzem Zögern ergriff die Elfe das Wort: "Seid gegrüßt, mein Name ist Landrana del Moran. Wer seid Ihr und was ist Euer Begehr?", sagte sie freundlich aber bestimmt. Die beiden Männer stellten sich als Fischer des in der Nähe befindlichen Dorfes vor, nannten ihre Namen und erzählten von ihrer Absicht, Hilfe von den Naturgeistern zu erbitten, da ihre Kinder auf geheimnisvolle Weise verschwunden waren. Der Zwerg wollte wohl nicht unhöflich erscheinen und so stellte er sich grummelnd als "Grimmgar Eisenbieger" vor, seines Zeichens Zwergenschmied. "Geht nur schön weiter nach Titania und sucht nach ein paar eifrigen Feen, die werden Euch schon helfen", brummelte er abweisend. "Das hört sich ja wirklich sehr mysteriös an, meinte die Elfe. "Ich denke, ihr braucht nicht bis nach Titania zu reisen. Ich und dieser alte, unfreundliche Zwerg werden versuchen euch zu helfen! Nun komm schon, Grimmgar, du alter Dickschädel und gib dir einen Ruck! Diese beiden Menschen scheinen wirklich Hilfe zu brauchen", sagte die Elfe eindringlich. Zuerst schien es, als wolle der griesgrämige Zwerg zu einer heftigen Erwiderung ansetzen, doch dann schien er mit einem resignierenden "Von mir aus, ich wusste gleich, dass es ein Fehler war, mich zu dieser Reise überreden zu lassen" zuzustimmen. Die beiden Männer waren sichtlich erleichtert darüber, dass die beiden Naturgeister ihnen so bereitwillig helfen wollten und sie so gar nicht erst in Titania um Hilfe ersuchen mussten. Sie baten ihre beiden Helfer sogleich, sie in ihr Dorf zu begleiten und traten dann die Rückreise an. Im Dorf wurden die beiden Naturgeister freundlich von den Menschen empfangen und alsbald mit seltenem Wein, Brot und Fisch bewirtet. Viele bewunderten die schlanke aber wohlgeformte, schöne Elfe und den kräftigen, bärtigen Zwerg. Dann verlangte Landrana del Moran eine genaue Beschreibung der vermissten Personen sowie eine Schilderung der Ereignisse der letzten Tage. Grimmgar Eisenbieger sagte die ganze Zeit über nur sehr wenig, aber das lag wohl in seiner Natur. Wenn überhaupt, dann ließ er von Zeit zu Zeit ein grummelndes "Aha" oder "So so" fallen. Er überließ der Elfe die Befragung derjenigen, die das Liebespaar als letzte gesehen hatten. Schließlich musste der kurzbeinige Zwerg noch die Elfe in die Hügel und Dünen rund um das Fischerdorf begleiten. Landrana del Moran, eine silberelfische Waldläuferin aus Titania, war recht gut bewandert in der Kunst des Fährtenlesens. Daher fiel es ihr nicht schwer die Spur der beiden jungen Leute zu finden und von der der einheimischen Tierwelt zu unterscheiden. Sie konnte der Spur in den Dünen jedoch nur soweit folgen, wieder Wind sie nicht verwischt hatte. Und so gelangten die beiden dann unweigerlich an den Punkt, wo die Spur sich verlor. Fest stand nur, dass sich die beiden Menschenparallel zum Meer und vom Dorf weg bewegt hatten. Sie waren dabei ruhig gegangen, ohne Hast. Ein wenig enttäuscht, aber nicht entmutigt machte sich Landrana wieder auf den Rückweg ins Dorf, begleitet von Grimmgar, dem zwergischen Schmied, der in diesem "Rumgelaufe" in der Umgebung des Dorfes wenig Sinn sah. Da das Spurensuchen doch eine ganze Menge Zeit gekostet hatte, erreichten die beiden Naturgeister das Fischerdorf erst wieder am späten Nachmittag. Landrana erstattete den Vätern kurz Bericht über das, was sie bis jetzt herausgefunden hatten, während Grimmgar sich bei einem lauwarmen Bier in der Dorfschenke nach seiner Heimat im Fels sehnte. "Mir ist da noch etwas eingefallen", sagte Landrana zu den beiden verzweifelten Vätern. "Gibt es hier in der Gegend vielleicht irgend einen Platz, an dem ein junges Liebespaar, so wie Eure beiden Kinder, sich ganz ungestört fühlen könnte? Irgendeine entlegene Hütte oder ein Wald?", wollte sie wissen. Die beiden Männer sahen sich ratlos an. Plötzlich schien Hagnald, Leoras Vater, eine Idee gekommen zu sein: "In einiger Entfernung liegt zwischen den Hügeln ein Tal mit einem kleinen Hain. Mein Großvater hat mir mal eine Geschichte darüber erzählt. Angeblich befindet sich eine Ruine mitten im Hain. Sie stammt aus der Zeit vor der Ankunft von euch Naturgeistern. Es soll einst ein Hort des Bösen, während der großen Finsternis gewesen sein. Aber ich glaube nicht, dass Leora oder ihr Freund Kari davon wissen!" "Wir müssen jeder möglichen Spur nachgehen!" sagte Landrana entschlossen. "Wie weit soll dieses Tal entfernt liegen, Hagnald?" "Etwa zwei bis drei Wegstunden in norweslicher Richtung, hat mir mein Großvater erzählt", entgegnete Hagnald. "Gut, wenn wir uns beeilen, schaffen wir es vielleicht noch vor Anbruch der Dunkelheit!", meinte Landrana. Damit ging sie zu Grimmgar Eisenbieger und erzählte diesem von ihrem Vorhaben. Der Zwerg war deutlich damit nicht einverstanden: "Landrana, seit wir uns kennengelernt haben, habe ich nichts als Ärger! Nicht genug damit, dass ich dich auf deinen verrückten Reisen begleiten muss, nein, ich muss mit dir sinnlos umherlaufen auf der Suche nach einem menschlichen Liebespaar! Als ob ich nichts besseres zu tun hätte! Ich sollte eigentlich zu Haus an meinem Amboss schmieden, aber nein, ich wollte dich ja unbedingt begleiten! Und jetzt verlangst du von mir armem Zwerg, dass ich auch noch einen Eilmarsch zu einem Ort mache, von dem ein längst verstorbener Verwandter eines Menschen eine Geschichte erzählt und den noch niemand mit eigenen Augen gesehen hat!? Können wir das nicht am morgigen Tag nach einem ausgiebigen Frühstück tun?", schimpfte er. "Grimmgar, ich weiß ich verlange eine ganze Menge von dir, aber wir haben leider nicht die Zeit, jetzt darüber zu streiten! Die Zeit läuft uns davon. Wir müssen die beiden Menschen schnell finden, bevor ihnen etwas zustößt. Außerdem, wer wollte denn mal was anderes erleben, als ständig Äxte, Hämmer und Werkzeug zu schmieden? Wenn du nicht mitkommen willst, dann werde doch ein Stein!", entgegnete Landrana aufbrausend. Da der Zwerg die (in seinen Augen) verletzliche Elfe nicht allein losziehen lassen wollte, packte er mit gemischten Gefühlen seine Sachen, redete auf das Muli ein und verließ mit Landrana eilig das Fischerdorf. Die beiden Naturgeister marschierten in norweslicher Richtung vom Dorf weg. Landrana lief in ihren leichten Lederstiefeln voraus, wobei sie immer wieder kurz anhielt, um den Boden nach Spuren zu untersuchen. Grimmgar folgte ihr wachsam, das Muli hinter sich herziehend. Nachdem sie ungefähr anderthalb Stunden gegangen waren, bedeutete Landrana dem Zwerg zu ihr zu kommen. Sie hatte die Fußspuren von einer Gruppe von humanoiden Wesen entdeckt. Die Gruppe war aus Richtung Süden, von der Küste gekommen und dann hier Richtung Nordwesten abgebogen. "Da die Fußspuren zu groß und breit für Elfen oder Zwerge sind, könnten es gut Menschen oder andere Humanoide gewesen sein. Außerdem haben zwei dieser Wesen etwas schweres getragen, da ihre Fußspuren tiefer als die anderen sind", schlussfolgerte Landrana. "Oder es sind einfach zwei schwere Wesen gewesen", entgegnete Grimmgar. Sie beschlossen den Spuren zu folgen. Nach einer weiteren Stunde erreichten sie ein hügeliges Gebiet. Versteckt dazwischen befand sich tatsächlich ein kleines Tal mit einem Hain, dessen Bäume im Licht der untergehenden Sonne lange Schatten warf. Die Spuren führten direkt auf den düsteren Hain zu. Die beiden fühlten sich wie von tausend Augen beobachtet, als sie sich vorsichtig dem Hain näherten. Landrana hatte ihren Bogen gespannt und einen Pfeil aufgelegt, um sofort auf alles schießen zu können, was eventuell aus dem Hain hervorbrechen sollte. Grimmgar hatte seinen mächtigen Schmiedehammer in beide Hände genommen. Die Zugleine für das Muli hatte er zwischen die Zähne geklemmt. Ungehindert erreichten sie den Rand des Hains. Landrana fühlte sich unbehaglich. Es war zu still in diesem Hain. Es gab keine Tiergeräusche; nicht einmal das Rascheln der Blätter im Wind war zu vernehmen. Es herrschte eine unnatürliche Stille. Die Sonne war in einem roten Glühen hinter dem Horizont verschwunden, als die Elfe und der Zwerg einem dunklen, ausgetretenen Pfad in das Innere des Hains folgten. Landrana hatte inzwischen Pfeil und Bogen durch ihr fein gearbeitetes Schwert ersetzt, welches sie ebensogut beherrschte. In der Mitte des Hains, auf einer kleinen, von Unkraut überwucherten Lichtung ragten die Ruinen eines verfallenen Hauses auf. Es war aus schwarzen Steinen erbaut und verfügte früher wohl einmal über zwei Stockwerke. Nur eine Wand ragte noch über das erste Stockwerk empor, der Rest war eingestürzt. Im schwachen Rest des Tageslichtes sah die Ruine mit ihren leeren, dunklen Fensterhöhlen irgendwie bedrohlich und unheimlich aus. Landrana umrundete langsam das Gebäude. Jede Faser ihres Körpers war bis zum äußersten angespannt. Sie erwartete ständig, dass sie etwas aus den dunklen Fensterhöhlen angriff. Die Präsenz des Bösen war hier ganz deutlich für die beiden Naturgeister zu spüren. Grimmgar band sein Muli an einem Bäumchen fest, dann folgte er Landrana, nach allen Seiten sichernd. Sie hatten früher schon Seite an Seite gekämpft. Damals, als sie beide gegen die Feinde des Naturgeisterreiches in die Schlacht gezogen waren. Schließlich entdeckte Landrana das dunkle Loch, in dem sich früher wohl die Tür befunden hatte. Die Elfe näherte sich geschmeidig und lautlos in einem Halbkreis der Öffnung. Grimmgar konnte jedoch nicht vermeiden, auf einige herumliegende Äste zu treten, die mit einem deutlichen Knacken zerbrachen. Schließlich kam auch der Zwerg an der Türöffnung an. Ohne zu zögern betrat Landrana als erste das dunkle Gebäude. Wie Grimmgar auch, konnte sie im Dunklen fast so gut wie bei Tageslicht sehen. Grimmgar folgte ihr dicht auf. Hinter dem Eingang folgte ein kurzer Korridor, der in einen großen Raum mündete. In der Mitte des Raumes befand sich der Anfang einer Steintreppe, die in die Tiefe führte. Aus der Öffnung drang Licht und beide konnten einen leisen Singsang vernehmen. Landrana näherte sich vorsichtig der Treppe, als sie plötzlich aus den Augenwinkeln von rechts einen Schatten auf sich zufliegen sah. Die Elfe reagierte schnell genug, um das Messer ihres Gegners mit dem Schwert von ihrem Körper wegzulenken, konnte allerdings den Zusammenprall mit dem Gegner nicht verhindern. Beide stürzten ineinander verschlungen zu Boden. Ihr Gegner hatte sein Messer fallen gelassen und dafür Landranas Schwertarm mit einer Hand ergriffen und zu Boden gedrückt. Mit der anderen Hand hatte er den zarten Hals der Elfe ergriffen und begann sie zu würgen. Obwohl Landranas Muskeln recht gut entwickelt und kräftig waren, war sie ihrem Gegner unterlegen: Ihr Schwertarm wurde hilflos zu Boden gedrückt und nur mit größter Anstrengung gelang es ihr, mit der anderen Hand einige Finger ihres Gegners zu lösen, die ihren Hals ergriffen hatten, um wieder zu ein wenig Luft zu kommen. Dennoch hatte sie rote Schleier vor Augen und sie spürte, wir ihr Körper in diesem Griff langsam schwächer wurde. Aber plötzlich lockerte sich der Griff ihres Gegners und er sackte in sich zusammen. Landrana gelang es, ihre Beine anzuziehen und den erschlafften Gegner mit aller Kraft wegzudrücken. Dann sah sie auch den Grund für ihre Rettung in Gestalt Grimmgar Eisenbiegers, der nur mit seiner blanken Faust ihren Gegner von hinten bewusstlos geschlagen hatte. Da war die Elfe unheimlich froh darüber, einen so starken Freund wie den Zwerg an ihrer Seite zu wissen. Anschließend reichte Grimmgar der Elfe seinen starken Arm und half ihr aufzustehen. Gemeinsam untersuchten sie ihren Angreifer. Es war ein Mensch und er war in eine schwarze Kutte gekleidet. Sie konnten außer dem Messer nichts bei ihm finden. Vorgewarnt, dass weitere Gegner im Dunklen lauern konnten, näherten sich die beiden, jetzt doppelt so wachsam, der Treppe. Am Treppenrand angekommen, konnten beide jetzt deutlicher und lauter den Singsang hören. Landrana bedeutete Grimmgar per Handzeichen, dass sie vorangehen wollte. Grimmgar nickte zum Zeichen seines Einverständnisses. Durch den von unten heraufdringenden Fackelschein sah die Elfe, dass die Steintreppe im unteren Bereich rechtwinklig abknickte. Vorsichtig und geschmeidig wie eine Katze glitt Landrana die Treppe hinab. Kurz vor dem Treppenende hielt sie kurz inne und gab Grimmgar Zeichen, nachzukommen. Die Treppe mündete in einen kurzen, gemauerten Gang der durch Fackeln erleuchtet war. Es war niemand zu sehen, aber der Singsang, der von einer geschlossenen Tür am Gangende herrührte bewies, dass sie nicht alleine hier waren. Die Präsenz des Bösen war hier unten so stark, dass die beiden Naturgeister schier davon "geblendet" wurden. Die Elfe ging weiter auf die Tür zu; der kampfbereite Zwerg hinter ihr. An der Tür angekommen hielt Landrana kurz inne, dann legte sie eines ihrer spitzen, feinen Ohren an das Holz der Tür, konnte aber außer dem lauten Singsang nichts anderes vernehmen. Schließlich probiert sie kurz, ob die Tür offen war und öffnete sie dann zu einem Spalt weit, um in den Raum dahinter zu spähen. Dann erbleichte sie vor Schreck. Es war ein recht großer Raum. Überall an den Wänden befanden sich magische Runen. Alte Runen, die in den Stein eingraviert waren und die nun rot zu glühen schienen. In der Mitte des Raumes stand ein Altar aus schwarzen Steinen. Darauf lag eine unbekleidete, junge Menschenfrau. Der Beschreibung ihres Vaters nach zweifellos Leora. Um sie herum standen sechs in schwarze Kutten gehüllte Gestalten, welche eine rituelle Beschwörung sangen. In der einen Hand hielt jeder ein etwas größeres Messer, ein Opfermesser. In einer der Ecken auf der anderen Seite des Raumes konnte Landrana einen Holzkäfig entdecken. Darin steckte ein unglücklich dreinsehender junger Mann, dessen Beschreibung gut auf Kari, Leoras Liebsten, zutreffen konnte. Landrana schloss die Tür wieder und wandte sich Grimmgar zu, der besorgt über das Erschrecken der Elfe, drängend wissen wollte, was los sei. Landrana wies stumm auf die Tür und lies Grimmgar selbst einen Blick in den Raum werfen. Auch der Zwerg schien für einen kurzen Moment entsetzt, dann aber nahm er eine grimmige, entschlossene Haltung ein. Beide wussten zu wenig über die Magie, um genau sagen zu können, wen oder was die Kapuzengestalten dort drinnen beschworen, sie spürten jedoch als Wesen des Guten, dass es sich dabei nur um etwas Böses handeln konnte. Nach kurzer Beratung öffnete sie leise die Tür und Grimmgar raste wie ein von einem Katapult abgeschossener Stein auf der linken Seite an den völlig überraschten Gestalten vorbei, auf Karis Gefängnis zu. Landrana trat einen Schritt aus der Tür in den Raum. Sie hatte ihren Bogen gespannt und visierte eine der vermummten Gestalten an. Dann schnellte der Pfeil von der Bogensehne und ohne noch einen Laut von sich zu geben sank diese in sich zusammen. Die Kapuzenmänner wurden sich ihrer Angreifer gewahr und teilten sich in zwei Gruppen auf: drei von ihnen näherten sich mit zum Stoß erhobenen Messern Grimmgar, der bereits mit seinem Hammer den Holzkäfig bearbeitete, in dem Kari saß. Die beiden restlichen eilten auf Landrana zu, die ihren Bogen fallen ließ und ihr kurzes Schwert blank zog, um sich ihnen zu stellen. Grimmgar hieb so fest wie möglich auf die Holzkonstruktion des Käfigs, die den wütenden Hieben des Zwergs nicht lange standhielt. Dann waren aber auch schon die Gegner heran. Kari, der bisher ungefesselt im Käfig gesessen hatte und seine geliebte Leora nicht retten konnte, warf sich jetzt zornentbrannt auf eine der drei Kapuzengestalten und rang mit ihr auf dem Boden. Die beiden anderen Angreifer stießen mit ihren Messern auf Grimmgar hernieder und wichen entsetzt zurück, als sie feststellen mussten, dass ihre Klingen an der Brust des Zwergs zerbrachen. Landrana musste auf der anderen Seite ihr ganzes Können aufbieten. Zwar hatte sie einen leichten Reichweitenvorteil mit ihrem Schwert, die Gegner drangen jedoch immer wieder von zwei Seiten auf sie ein und zwangen sie so, sich ständig von einem Gegner abzuwenden, um den Stoß des anderen abzuwehren. Landrana wusste, dass diese Taktik sie über kurz oder lang ermüden würde und dass sie deshalb eine Entscheidung herbeiführen musste. Beim nächsten Angriff ihres rechten Gegners täuschte sie mit ihrem Schwert die Parade nur an, unterlief geschickt den Messerstoß ihres Gegners und durchbohrte ihn mit dem Schwert. Gerade als sie ihr Schwert herauszog und sich zu ihrem zweiten Gegner umdrehen wollte, spürte sie auch schon dessen Dolch wie ein glühendes Eisen in ihre Seite eindringen. Der heftige Schmerz ließ die tapfere Elfe zurücktaumeln. Landrana keuchte heftig, als immer neue Schmerzwogen ihren Körper durchströmten. Ihr Gegner zog das Messer aus dem Körper der Elfe, die sofort ihre freie Hand auf die heftig blutende Wunde legte, und versuchte ihr noch einen weiteren Treffer beizubringen. Landrana versuchte verzweifelt, sich auf den Kampf zu konzentrieren und den Schmerz zu verdrängen. Gerade noch rechtzeitig riss sie ihr Schwert empor, um einen Messerstoß ihres Gegners abzulenken, der sonst zweifellos ihren Oberschenkel durchbohrt hätte. - Grimmgar Eisenbieger hielt zunächst seine Gegner mit seinem Hammer auf Distanz. Um Kari brauchte er sich nicht zu sorgen, denn wie es aussah, gewann der junge Mensch die Oberhand in der Rangelei mit dem Vermummten. Als er jedoch zufällig sah, wie Landrana verletzt wurde und sich vor Schmerzen wand, schien er zu erstarren: Er legte den Schmiedehammer auf den Boden, fixierte seine Gegner und stand dann so still wie ein Stein da. Die beiden Kapuzenmänner frohlockten schon, er wolle sich ergeben und näherten sich dem Zwerg von zwei Seiten, um ihn zu überwältigen. Plötzlich bemerkte einer, dass der Zwerg irgendwie von Innen zu glühen schien: Feine, magmarot glühende Äderchen hatten sich gebildet. Einer seiner Gegner hatte sich gerade gebückt, um die Axt des Zwerges zu ergreifen, als dieser wie ein glühender Felsblock auf ihn zuschoss und ihn mit einem steinharten Tritt ausschaltete. Völlig ruhig, aber scheinbar glühend vor Wut, lief Grimmgar auf seinen zweiten Gegner zu, der gar nicht wusste wie ihm geschah, als er zwei furchtbare Faustschläge einstecken musste und fast bewusstlos zu Boden ging. Der entschlossene Zwerg über ihm hörte aber nicht auf mit beiden Fäusten auf ihn einzudreschen und erledigte ebenso diesen Gegner. Auch Kari hatte sein Gegenüber ausgeschaltet und war schon auf dem Weg zum Altar, um Leora aus ihrer schrecklichen Lage zu befreien. Der letzte Kapuzenmann hatte die Ausdauer und Entschlossenheit Landranas unterschätzt. Er wollte die verletzte und blutende Elfe mit einigen gezielten Messerstichen töten, aber sie konnte alle seine Angriffe mit ihrem Schwert abwehren. Schlimmer noch, sie griff selbst an, lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Finte ihres Schwertes und schickte ihn mit einem kräftigen Tritt zu Boden. Dann spürte er ihre Schwertspitze an seinem Hals und wusste, dass seine Mission gescheitert war. Landrana, die immer noch bemüht war, sich den Schmerz und ihre Schwäche nicht anmerken zu lassen, wollte gerade ihren überwältigten Gegner dazu auffordern, sich zu ergeben, als sich plötzlich ein merkwürdiger Nebel um die auf dem Boden liegende Kapuzengestalt legte. So plötzlich wie er gekommen war, verschwand der Nebel auch wieder und mit ihm die Gestalten. Die Runen hörten auf, rot zu glühen und plötzlich wurden sich Landrana und Grimmgar gewahr, dass ihre Gegner verschwunden waren. Kari und Leora, die inzwischen von Kari befreit worden war, näherten sich dankbar ihren beiden Rettern. Grimmgar untersuchte Landranas Verletzung und legte ihr einen Verband an. Die beiden Jugendlichen erfuhren von der Sorge ihrer Eltern und dass die beiden Naturgeister im Auftrag der Menschen des Fischerdorfes nach ihnen gesucht hatten. Sie umarmten dankbar die Elfe und den Zwerg (der sich gewaltig zusammennehmen musste, um nicht dagegen zu protestieren). Dann wollte keiner der vier noch länger an diesem schrecklichen Ort verweilen und sie kehrten zurück ins Erdgeschoss; verließen die Ruine und den Hain. Nach kurzem Zureden des Zwergs trug das Muli die verletzte Elfe. Als sie eine Weile zurück, Richtung Dorf marschiert waren, mussten sie dennoch eine Pause für Landrana einlegen, die durch die Verwundung und den Blutverlust doch sehr geschwächt war. Gegen Sonnenaufgang erreichten sie das Fischerdorf, deren Bewohner schon die ganze Zeit auf die glückliche Heimkehr der vermissten Jugendlichen harrten und die ihnen jetzt einen freudigen Empfang bereiteten. Zwei glückliche Elternpaare schlossen ihre heimgekehrten Kinder wieder in die Arme. Alle bedankten sich herzlich bei den beiden Naturgeistern und boten ihnen an noch eine Weile zu bleiben, um sich zu erholen und sich bewirten zu lassen. Landrana und Grimmgar nahmen das Angebot dankbar an, da Landrana sich erstmal von der Verwundung erholen musste. Nach ihrer Genesung drängte es Landrana zurück nach Titania. Anschließend wollte sie noch zu einem Besuch auf die Geisterinsel, um vielleicht Oberon von ihren Abenteuern bei den Menschen von Dalan ido Lhur zu erzählen. Nachdem sie versprochen hatten, die Menschen in dem Fischerdorf wieder zu besuchen, machten sich die Elfe und der Zwerg auf den Weg. Das schwarze Segelschiff verließ seinen Ankerplatz vor der Küste des Naturgeisterreiches. So wie es gekommen war, kehrte es auch wieder zurück: Unnatürlich ruhig fuhr es durch die Brandung hinaus in den Endlosen Ozean. Wenn jemand dagewesen wäre, hätte er vielleicht den Wutschrei gehört, der das ganze Schiff erbeben ließ. Drollr
1998 |