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Zum Hügel "Zum plappernden Wolf... was für ein dämlicher Name für ein Gasthaus.", ging es ihm durch den Kopf, kurz bevor er dieses betrat. Eine eiskalte Böe kam mit dem Fremden hinein und für einen kurzen Augenblick blieb sogar sein Atem sichtbar, nachdem er die Tür schon wieder hinter sich geschlossen hatte. Ihm schlug eine Geruchsmellange aus nassem Fell, süßem Met und lauwarmem Gemüseeintopf entgegen. Ein halbes Dutzend Augenpaare, welche ihn, unter Fellmützen, gehörnten und ungehörnten Helmen hervorlugend, musterten, starrten mit einer Mischung aus Neugier und Abschätzung auf seine thuathische Wintergewandung, die unmissverständlich darauf hinwies, dass er nur unzulänglich für Waligoi im tiefsten Winter gewappnet war. Um den abfällig amüsierten Blicken auszuweichen ging der Neuankömmling dazu über, den Matsch von seinen Stiefeln abzutreten, sowie seine Kleidung wie auch seinen Bart von Schnee und Eis zu befreien. Der Weg von der Anlegestelle, an der das walische Langschiff, mit dem er nach langer Reise und waghalsigen Segel- und Rudermanövern endlich angekommen war, angelegt hatte, war nur kurz, doch die Strapazen der Reise durch die eisigen Ozeane zehrten noch immer an ihm. Der Winter so weit im Nor war deutlich kälter als er gewohnt war; hoffentlich würde er auch viel länger anhalten. *** Eine seltsame Erscheinung bot sich den Gasthausbesuchern: Ein junger, bärtiger Mann in dünner Sommergewandung, die nur dürftig mit mehreren Umhängen unter Zuhilfenahme einiger Fibeln halbwegs wintertauglich gemacht geworden war. Er hatte ein großes Bündel bei sich, das aussah, als würde es seinen gesamten Hausstand beherbergen; zudem schien er unbewaffnet zu sein, besaß offensichtlich keine Kopfbedeckung und sah nicht nur durchgefroren, sondern auch hilfesuchend aus. "Ich zuche eine gewizze Moyhra Wolfzfaell!" hörten die aus den unterschiedlichsten Kulturen stammenden Gaststättenbesucher, unter denen sich aber ein Großteil Walis der vier Stämme befanden, den seltsamen Neuankömmling stark akzentuiert ausrufen. Sein schlechtes Walisch hätte zu einem Hindernis bei seiner Suche werden können, da Walis nicht gerade dafür bekannt sind in ihrem eigenen Land Fremdsprachen gegenüber aufgeschlossen zu sein. Wie gut für den Fremden, dass die Stadtherrin und Besitzerin des Gasthauses, Moira Wolfsfell, gerade selbst zugegen war. "Ich bin es, die Ihr sucht." meldete sich die Stadtherrin, ihr Gespräch unterbrechend, sogleich. Ihren sichtlich erleichterten Gesprächspartner zurücklassend, der ohne diese Unterbrechung wahrscheinlich noch über Stunden der "plappernden Wölfin" hätte zuhören müssen, kam Moira mit fragendem Blick auf den fremden Neuankömmling zu. "Und wer seid Ihr?" Eine Geste machend, die sowohl eine Begrüßung darstellte als auch seinen Respekt ausdrückte, antwortete der Fremde: "Ich bin Slaceo Moch auz Tir Thuatha. Ich komme wegen dez Bahdehausez. Ich hatte Ihnen gezriben." Ein Lächeln zeichnete sich auf Moiras Gesicht ab. Sie erinnerte sich an den Schriftwechsel. "Einer der neuen Gewerbetreibenden für die Stadt ist eingetroffen!" fuhr es ihr durch den Kopf. *** Slaceos Eltern waren Handwerker aus dem Reich des Feuers gewesen, welche sich in Tir Thuatha niedergelassen hatten. Slaceo musste schon als Kind darunter leiden, dass sein Nachname auch der Name eines, drückt man es freundlich aus, nicht besonders bevorzugten Gottes in Tir Thuatha war: Moch war der Gott der Tuach na Moch, des Hügelvolkes und als solches für den Tod zuständig. Diese Außenseiterstellung konnte er nie beseitigen, daher begnügte er sich schnell damit, nur mit wenigen Leuten privat in gutem Kontakt zu stehen und ansonsten sein Leben auf das Geschäft auszurichten. Slaceo handelte mit diesem und jenem und versuchte sein Glück mit der Eröffnung eines Lebenstraums: Er eröffnete ein Badehaus, welches eine Mischung aus denen im Reich der Legion und Tir Thuathas darstellte. Da er jedoch in einer kleinen Siedlung lebte, die Menschen dort ihn immer noch als Auswärtigen ansahen und sein Name nach wie vor zu abergläubischen Reaktionen wie dem Ausbleiben von potentiellen Kunden, führten, empfand er Tir Thuatha nicht als wirkliche Heimat und entschloss sich, als seine Eltern verstarben, dieses Land zu verlassen. Als die Kunde über die Gründung dieser neuen Stadt, Ulfurstud, nach Tir Thuatha drang begann Slaceo einen Briefwechsel mit der Stadtherrin Moira Wolfsfell, um dort ein Stück Land zu erwerben, an dem er ein neues, schöneres, gewinnbringenderes Badehaus errichten könnte. Schon im Spätherbst des Jahres 39 ndF wurde das Geschäft abgeschlossen. Im Spätwinter des selben Jahres war er nun persönlich mit seinen wenigen Habseligkeiten hier eingetroffen um den Bau des Hauses zu organisieren. Er hatte Tir Thuatha endgültig hinter sich gelassen und beabsichtigte niemals zurückzukehren. "...und da die Winther hier länger und härter zind, alz in Tir Thuatha und mein Badehauz mehr zu biethen haben wird alz eine gewöhnliche walize Zwitzhütte, bin ich der Anzicht, daz diez eine Bereicherung zowohl für mich, alz auch für eure neue Ztadt sein wird, teure Moyhra Wolfzfaell." schloss er seinen nicht enden wollenden Monolog und griff zum Trinkhorn, als ob er betonen wollte, dass seine Rede damit endete. Es war zwar ganz interessant etwas über die neuen Einwohner der Stadt zu erfahren, doch dieses Mal musste Moira die Erfahrung machen, wie es ist, selbst voll geplappert zu werden. Moira berichtete daraufhin von ihrem Auftrag die Stadt zu gründen und ihrem Bemühen die Stadt für jedwede Gruppe Siedler und Geschäftsleute attraktiv zu gestalten, nicht ohne die eine oder andere Anekdote zum Besten zu geben. Weitere Hörner Yakhmilch und einige Geschichten und Informationen später, bei denen mal Moira, mal Slaceo plapperten, gingen auch die letzten Gäste, die zum Schluss sogar miteinander wetteten, wer denn diesen "Laberwettstreit" gewinnen würde. Moira realisierte wie spät es schon war, bedankte sich für den "netten Abend", verschaffte, da das Schneetreiben nicht nachließ, Slaceo einen Schlafplatz im Gasthaus. Sie versprach, am morgigen Tag wegen der Formalitäten wieder auf ihn zuzukommen und ihm auch eine Stadtführung, im besonderen mit der Besichtigung seines Baugrundstückes, zuteil werden zu lassen. Slaceo ging rechtschaffen müde und, ob des Gesprächs mit dieser netten Wali, mit guter Laune zu Bett. *** "Dies war also Ulfurstud, die hedische Stadt im Grenzgebiet zwischen Heden und Bognaren." ging es ihm durch den Kopf, als er mit Moira durch den Schnee stapfte. Tatsächlich war es so, dass das Gebiet norlich und yddlich von Ulfurstud das Hauptsiedlungsgebiet der Bognaren war, und das Gebiet im Sud und Wes das traditionelle Gebiet der nomadisierenden Heden. Die Gegend um Ulfurstud war somit Grenzgebiet, und Slaceo war sich nicht einmal sicher, ob dieser Ort nicht doch zum Gebiet der Bognaren gehörte und nur von den Heden beansprucht wurde. Fakt war aber, dass diese Gegend von niemandem richtig besiedelt wurde... bis zur Gründung Ulfurstuds. "Einen netten Platz habt ihr euch für eure Ztadt ausgezucht, fürwahr." musste Slaceo der Stadtherrin zugestehen. Am Norufer des Flusses Gyldurfjord gelegen und im Est von der Bucht begrenzt, in der der Fluss in den Endlosen Ozean mündete, bot Ulfurstud einen attraktiven Bauplatz für eine Stadt. Diese Ansammlung von 30 größeren und ein paar Dutzend kleineren Gebäuden konnte zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwar nur mit sehr positiver Grundeinstellung mit der Bezeichnung "Stadt" bedacht werden, doch da dies ab jetzt seine neue Heimat darstellte, war Slaceo nur zu gern bereit diese Bezeichnung zu akzeptieren. Den Mittelpunkt der Stadt bildeten der Thingplatz und die uralten verehrten Runensteine. Ein Netz eines Straßensystems, welches aus einigen breiten Wegen bestand, bot weit mehr Platz als bisher für den Verkehr benötigt wurde, ließ aber schon die Größe erahnen, auf die Moira mit ihren Ambitionen der Stadtgründung und deren Erweiterung hinauswollte. Dies würde einmal eine gewaltige Handelsstadt werden! Überall waren noch reichlich Grundstücke für weitere Gebäude vorhanden und in Sichtweite war schon der Rand des Waldes zu sehen, der nur gerodet werden musste, um noch sehr viel mehr Platz bereitzustellen. Die Augenbrauen voller die Sicht behindernder Eiskristalle, und aufgrund kalter Zehen nicht mehr ganz standfest, hätte Slaceo beinahe einen vorbeikommenden Heden auf seinem Reityakh übersehen, doch Moira griff ihn just in diesem Moment am Ärmel, zog ihn beiläufig von der Straße und bemerkte freudestrahlend: "So und nun beenden wir die Stadtführung. Wir kommen jetzt zu dem Ort, der für euer Badehaus vorgesehen ist." Sie zeigte auf ein größere Gruppe Bäume, hinter der sich der Weg gabelte. Der hintere Teil dieses Wäldchens stand auf einem kleinen Hügel direkt am Scheitelpunkt der Weggabelung. So hatte Slaceo sich das vorgestellt: reichlich Platz für ein Gebäude in den Ausmaßen, die er benötigte - eine gute Lage. Bisher am Rande der Stadt gelegen; doch schon in Bälde, die weiteren Ausbauten der Stadt berücksichtigend, würde sein Badehaus sich mitten in der Stadt befinden. Er hatte zwar geschrieben, dass ihm ein Platz auf einem Hügel am liebsten wäre, hätte aber nicht unbedingt damit gerechnet, auch einen solchen zu erhalten. Der Hügel kam ihm recht gelegen - so würde sein Haus größer wirken als es war, ohne dass er viel Geld in ein zweites Stockwerk investieren musste, um aus der Masse herauszuragen. Mit einem zugekniffenem Auge, seiner Zunge in den rechten Mundwinkel geklemmt und mit dem offenen Auge über den Daumen seiner geballten Hand peilend, visierte er sein Grundstück an. "Zehr Zchön! Ich werde mit dem Bau des Hauses beginnen zobald das Wetter es zulässt. Am liebsten würde ich schon heute mit dem Bau beginnen..." platzte es voller Enthusiasmus aus ihm heraus, während er sich zu Moira umwendete. "Könnt Ihr mir dabei helfen, Arbeiter zu finden, die znell und zuverläzig ein zolches Gebäude errichten können?" *** Als Anfang 40 ndF der Winter milder wurde und in den Frühling überzugehen begann, war Moira Slaceo bei der Rekrutierung fähiger Männer zum Bau des Badehauses behilflich. Die Arbeiter fällten in kürzester Zeit die Bäume auf dem Hügel und rissen mit Hilfe kräftiger Yakhs die Wurzeln der Bäume aus dem noch gefrorenen Boden; doch keiner der Walis hatte je solch eine Konstruktion wie die eines Badehauses gesehen - geschweige denn gebaut. Slaceo hatte von daheim eine Zeichnung mitgebracht und eine genaue Vorstellung, wie das Gebäude aussehen sollte, aber die Walis waren, sogar unter persönlicher Anleitung, nur langsam in der Lage diese umzusetzen - denn obwohl sie kräftig anpacken konnten, war ihnen diese Baukunst fremd. Moira war nicht begeistert, als Slaceo eines Morgens freudestrahlend berichtete, dass er lesvodische Baumeister organisiert hatte, indem er dem Herren dieser Leibeigenen eine nicht unerhebliche Summe hatte zukommen lassen. Diese Lesvodies hatten zuvor lediglich in der Nähe begonnen, einen großen Graben zu konstruieren. Der Bau des Griskanals würde so um Wochen zurückgeworfen werden! Nicht dass dies bei der Größe des geplanten Projektes eine gewaltige Verzögerung darstellen würde - nein - aber es ging ihr ums Prinzip. Zum ersten Mal seit seiner Ankunft in Ulfurstud hatte Slaceo Streit mit der ihm in den letzten Wochen immer vertrauter gewordenen Moira. Nicht das er geglaubt hatte, er würde immer und zu jeder Zeit mit jedermann gut auskommen - aber Streit mit der Stadtherrin war bestimmt etwas, dass er auf Dauer sicher nicht brauchen konnte. Sie einigten sich darauf, dass Moira weitere walische und andere Hilfskräfte organisieren würde, wenn nur die lesvodischen Konstrukteure am Ende der Woche wieder an ihre Arbeit zum Griskanal zurückkehren würden. Dank der schnellen Auffassungsgabe des lesvodischen Baumeisters und der zusätzlichen Hilfsarbeiter dauerte es keine weitere Woche, das Haus fertig zu stellen. *** Das Frühjahr war, nach einem kleinen Rückfall in winterliche Temperaturen, nun zum zweiten Mal angebrochen und Slaceo hoffte sein Badehaus passend zum Frühjahrsthing eröffnen zu können. Zu diesem Zeitpunkt würden viele Gäste in der Stadt sein - und auch mit weiteren Neuankömmlingen war zu rechnen, egal ob sie sich nur kurz hier aufhielten oder für immer ansiedelten. Der Ruf Ulfurstuds war inzwischen weit verbreitet, und drang sogar in Länder vor, in denen Walis nur ein Volk aus den Legenden waren. Slaceo hatte inzwischen einen neuen Nachbarn, eine Ao-Lai'sche Wäscherei, bekommen, von der er nur durch den Rest des Wäldchens getrennt wurde. Auch hatte er vom Interesse der Frysen an einem Handelshaus gehört, was ein sicheres Zeichen dafür war, dass diese Stadt aufblühen würde. Seine Entscheidung, sich hier niederzulassen, war eine gute gewesen. Das Badehaus war fertiggestellt: Ein Brunnen war innerhalb des Hauses ausgehoben worden, ein großer Ofen zur Wassererhitzung aufgestellt, ein Badebecken für mehrere Personen in den Boden eingelassen, zwei Schwitzräume eingerichtet, Massageräume abgeteilt, ein Dutzend kleine privatere Baderäume bereitgestellt sowie zwei Baderinnen und ein Masseur eingestellt. Auch Slaceos Privaträume im Anhang des Gebäudes waren vollständig eingerichtet und er hatte sich richtig eingelebt und die anderen Gewerbetreibenden und sonstigen Einwohner kennen gelernt. Er freute sich, dass bisher alles so gut verlaufen war. Doch bevor die Arbeit getan und das Badehaus offiziell geöffnet war, wollte er vorab Moira zum einem exklusiven 'Schnuppertag' einladen und ihr eine Sonderbehandlung durch all' die Genüsse zuteil werden lassen, die man hier erhalten konnte. Schließlich würden viele der ersten Gäste zum ersten Mal im "Plappernden Wolf" von seinem Badehaus erfahren. *** Sie war so müde gewesen, hatte unbedingt schlafen gehen müssen, viel zu früh im Vergleich zu ihrer üblichen Zeit, doch dies war nun vorbei! Schön, die Wiesen wiederzusehen, auf der die Blumen bald ihre Blütenpracht entfalten würden. Der Duft der Bäume, der Anblick des in der Nähe befindlichen Flusses und die Vorfreude auf die hin und wieder bei ihr vorbeiziehenden Walis würden sie für ihre lange Schlafenszeit entschädigen. Voller Tatendrang stieg sie empor und betrat eine völlig veränderte Welt... Es war dunkel, kein Luftzug regte sich - und sie war nass, von Kopf bis Fuß! Was war denn das? War eine neue Finsternis hereingebrochen, und sie hatte dies verschlafen??? Sie hörte die Bäume nicht, konnte keine Tiere in der Nähe spüren, und es kam ihr vor, als ob sie selbst verletzt sei, obwohl sie keine Wunde an sich ertasten konnte. Doch plötzlich wurde ihr klar, was ihr so seltsam vorkam: Die Grube, in dem sich das Wasser befand in dem sie stand - DAS war die Wunde in ihrem Leib! Entsetzen breitete sich in ihr aus und sie schrie aus voller Kraft ihr Entsetzen hinaus. *** Slaceo stürzte in den Baderaum und hastete um das Badebecken herum, um ein Oberlicht zu öffnen, damit Tageslicht in den Raum strömen konnte. Er hatte einen Schrei vernommen, und das, obwohl sich außer ihm doch gar niemand im Gebäude aufhalten konnte. Die Eröffnung würde erst nächste Woche stattfinden und selbst Moiras Vorab-Besuch war erst für den nächsten Tag angesetzt. Mit unruhigem Blick suchte er den Raum ab. Lange musste er sich nicht umsehen, zu offensichtlich war der Verursacher des Geräusches: mitten im Badebecken stand eine exotisch aussehende Frau, exotisch selbst für hiesige Verhältnisse. Ihre Haut war so braun wie eine Haselnuss, ihre großen Augen und ihr lang wallendes Haar hatten eine ebenso braune Farbe, obwohl - Slaceos bisherigen Erfahrungen nach - dunkelhäutige Menschen eher zu schwarzen Haaren neigten. Ihr leicht bekleideter Körper war von atemberaubender Form, welche von den an ihr klebenden feuchten Kleidern und Haaren noch betont wurde. Sie starrte ihn aus weitaufgerissenen Augen und mit zum Schrei geöffnetem Mund an, doch sie gab keinen Ton von sich. Ihre wie seine Augen gewöhnten sich an den Wechsel der Lichtverhältnisse, so dass auch sie ihn nun genau erkannte, und er ein Detail an ihr ausmachte welches ihm zuvor entgangen war: Die Ohrmuscheln der Fremden verjüngten sich nach oben hin! "Tuach na Moch!" kam es über seine Lippen, während er sich voller Angst gegen eine der Holzsäulen drückte, als ob er so dem Blick der vermeintlichen Hügelfrau entgehen könnte. Die Rückkehr des Lichts und die lächerliche Gestalt, die sich der Frau in Person des ängstlichen Thuatha bot, ließ sie ihre Fassung zurückgewinnen und die Stufen hinaufsteigen, die aus dem Wasserbecken heraus zur Erdoberfläche führten. Bei jedem ihrer Schritte wich das Wasser weiter von ihrem Körper zurück. Nachdem sie die letzte Stufe heraufgekommen war, stand sie mit völlig trockener Haut und Haaren am Beckenrand. Während sie sich langsam auf Slaceo zubewegte, wehte ihre Kleidung und ihr Haar - obschon sich kein Lüftchen in dem Raum bewegte. Slaceo sah sprachlos zu, wie der Luftzug ihre Formen atemberaubend zur Geltung brachte. "Ich bin Namora, die Oreade von Nor-Gyldurfjord." stellte sie sich vor und fügte mit mehr Nachdruck hinzu: "Herrin des Hügels!" Slaceo wurde bleich. "Doch eine vom Hügelvolk..." schoss es ihm durch den Kopf, "...sie hat es soeben selbst gesagt." Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn. Sie zeigte mit dem Finger auf Slaceo und kam näher. Für einen Nicht-Thuatha hätte sie nicht gerade bedrohlich ausgesehen, doch aus Slaceos Sicht gestaltete sich das ein wenig anders... "Was habt ihr Menschen mit meinem Hügel gemacht? Wo sind die Bäume? Was macht das Wasser hier? Und wer bist DU überhaupt?" *** Namora hatte schon immer hier gelebt, so lange sie denken konnte. Nicht nur seit Beendigung der Finsternis, sondern auch weit davor, jedoch konnte sie sich nicht an den Zeitraum vor der Finsternis erinnern. Vielleicht war das zu lange her, vielleicht entstand sie auch im Verlauf der Finsternis...sie konnte sich einfach nicht erinnern. Namora war eine Oreade, eine Hügelnymphe, ein Naturgeist, dessen Kraft aus dem Hügel kam dessen Verkörperung sie darstellte. Die Macht dieser Feenart war auf und in ihrem Hügel annähernd unbegrenzt, doch endete sie mit den letzten Ausläufern des Hügels. Namoras Hügel war weder besonders imposant, was seiner Macht aber keinen Abbruch tat, noch sehr weitläufig. Dies beeinflusste jedoch ihr Bewegungsfeld, denn sie konnte sich nicht über ihren Einflussbereich hinausbewegen. Das Leben einer Oreade in Waligoi war nicht besonders spektakulär: Im Frühjahr erwachte sie und erfreute sich am Wachsen der Bäume, dem Blühen der Blumen, den unherschwirrenden Insekten, dem Liebesspiel der Vögel und den anderen Tieren, die auf der Wiese und im Wald ihre Jungen bekamen. Im Sommer genoss sie die kurze Zeit der langen Tage mit viel Sonne und den regelmäßigen Kontakten mit den jetzt zahlreich umherstreifenden Tieren, die sich dort ihres Lebens erfreuten. Im Herbst wandelte sich der Anblick der Natur, doch auch dies war schön: die sich von gelb zu rot zu braun umfärbenden Blätter, die Brunftzeit des Wildes und die ersten Stürme, die schon manchmal den ersten Schnee brachten. An allem konnte sie sich erfreuen. Mit dem ersten starken Bodenfrost begab sie sich dann zurück in die Erde, um in ihrem Hügel zu überwintern. Eine besondere Freunde waren ihr aber die unregelmäßigen Besuche anderer Naturgeister, wie der wenigen in Waligoi umherfliegenden Kleinfeen, der ebenso selten herumtollenden Kobolde (am häufigsten waren dabei die Windkobolde) oder noch seltener der Zwerge oder Elfen. Die mit Yahks und Wagen vorbeiziehenden Heden oder die mit dem Schiff hier anlegenden Gauten, mit denen sie ihre Natur völlig ausleben konnte, waren ihr jedoch der liebste Zeitvertreib. Nicht umsonst trug ihre Art die Bezeichnung Nymphe... Dies war jahrein jahraus das selbe Spiel. Doch diese Situation war nun etwas völlig Neues für die Fee. Namora war interessiert an den neuen Möglichkeiten, die sich ihr nun boten. Dieses Badehaus sollte eine Kultstätte der Sinnesfreuden werden... Mit den ihr eigenen Mitteln, einem Menschen nie enden wollende körperliche Wonnen zu bereiten, konnte sie sich mit Slaceo einigen und sah der Zukunft recht zuversichtlich und mit viel Neugier entgegen. *** Der freundliche Badehausbesitzer hatte an diesem Morgen um eine dringende Unterredung gebeten und die Stadtherrin zu diesem Zweck in ihrem Heim aufgesucht. "Ja, werte Moira Wolfzfaell, ich möchte das Haus, und den Grund auf dem es steht, auf diese Person hier überschreiben." Slaceo tippte bei diesen Worten immer wieder auf eine Stelle des Papiers, das er als Urkunde bezeichnete und von dem er wollte, dass sie es abzeichnete. Moira verstand die Welt nicht mehr. Am Tag der Eröffnung des Badehauses wollte der ihr inzwischen lieb gewonnene Thuatha seinen Besitz an eine Person übertragen, deren Namen sie zuvor noch nie gehört hatte. "Na gut," sagte Moira, "dann werde ich das in die Wege leiten." Fügte dann aber noch eine Frage an: "Aber die Eröffnung des Badehauses wird doch heute Nachmittag wie geplant stattfinden?" Der nervöse Thuatha antwortete fahrig: "Ja, ja, selbstverständlich, aber..." er lächelte geheimnisvoll, "... auch da gibt es eine kleine Änderung. Besser gesagt eine Ergänzung..." Moira wunderte sich über gar nichts mehr. Slaceo fuhr fort: "Mein Haus..." er verbesserte sich, "Namoras Haus wird eine zusätzliche Einrichtung beherbergen... eine..." er druckste ein wenig herum "äh... nennen wir es ‚Kurtisanenschule'". Er schaute die Wali mit einem fragenden Lächeln an. Es war nur zu offensichtlich, dass sie nicht die geringste Ahnung hatte, was eine 'Kurtisane' war. "Nun gut, auch diese Cousinenschule werde ich in die Bekanntmachungen der Stadt aufnehmen." Slaceo verabschiedete sich überschwänglich und verschwand in Richtung des Badehauses. Moira blieb leicht verwirrt zurück. "Was, bei Höggr, ist eine Cousinenschule?" murmelte sie vor sich hin. © 2003 by Anthardes
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