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Die Flüchtlinge aus Clanthon Nachdem das Volk aus Clanthon während des großen Winters durch einen erbarmungslosen Krieg ihre Heimat verloren hatte, flüchtete ein Teil der verzweifelten Menschen zu anderen Völkern, um sich irgendwo ein neues Zuhause aufzubauen. Die Heimat aber, würden sie wahrscheinlich für immer verlassen. So wurde auch an Elbenkönig Oberon herangetreten. Man bat ihn, 6000 Flüchtlinge, welche aus der Stadt Descaer und dessen Umgebung stammen, aufzunehmen und ihnen Schutz zu gewähren. Zudem erbat man einigen Feenwesen, sogenannte "Holde" aufzunehmen. Die Bitte stieß bei den Naturgeistern nicht nur auf Gegenliebe. Einige unseres Volkes sorgten sich, da sie mit den Menschen meist schlechte Erfahrungen gesammelt hatten. Aber schließlich wurde Oberons Entscheidung von allen angenommen und getragen. Er entschied, dass die Flüchtlinge im Reich der Naturgeister willkommen waren. So begab es sich kurze Zeit später, dass inmitten der Steppe, nahe der Stadt Titania ein magisches Portal entstand. Dem Tor entströmte ein nicht enden wollender Strom von frierenden, schlecht genährten und verzweifelten Menschen. Greise, Mütter, die Bündel mit schreienden Kindern an sich pressten, um ihnen ein wenig Wärme zu geben, ehemals stattliche Burschen und hübsch anzuschauende Frauen versammelten sich in der Ebene. Kurz bevor sich das Tor dann nach Stunden wieder schloss, flogen die Holden hindurch und begaben sich zwischen die wartende Masse der Menschen. Solch ein Elend hatten wir nicht erwartet. Den Menschen fehlte es sogar am Nötigsten. Viele weinten, andere sahen sich unsicher um. Das Schlimmste aber waren die Augen der Flüchtlinge, stumpf, fast leblos und in ihr Schicksal ergeben. Sie hatten ihre Heimat und was vielleicht noch schlimmer war, ihre Hoffnung verloren. Man schickte zunächst Elfen, um einen ersten Kontakt herzustellen. Elfen sehen den Menschen am ähnlichsten, so dass wir hofften sie nicht zu sehr zu erschrecken. Bei uns hatten wir große Mengen Lebensmittel und Kleidung, sowie Kräuter um Verletzungen heilen zu können. Bald aber war klar, dass die bereitgestellten Dinge bei weitem nicht ausreichen würden. So starben allein in der ersten Nacht nach ihrer Ankunft 245 Menschen an den Folgen von Erschöpfung, Hoffnungslosigkeit, Krankheiten und Verletzungen. Nachdem für die dringendsten Bedürfnisse der Clanthonier gesorgt worden war, tat sich ein weiteres Problem auf. Vor allem die älteren, erfahrenen Menschen versanken in Lethargie. Man musste den Leuten wieder eine Aufgabe geben. So führten wir sie zu einem fruchtbarem Landstrich, weslich von Titania, gaben ihnen Material für den Bau von Häusern, Werkzeuge und Saatgut. Sie sollten beginnen sich ein neues Zuhause aufzubauen. Zwar halfen wir anfangs, da sie sich verständlicher Weise in der fremden Umgebung noch nicht zurechtfanden, doch versuchten wir uns nicht mehr als unbedingt nötig einzumischen und überließen die Menschen immer mehr sich selbst. Unsere Hoffnung, die Flüchtlinge wieder das Gefühl zu geben, selbst etwas bewirken zu können, ging in Erfüllung. Nach und nach entstand so, inmitten des Tieflandstreifens eine kleine Menschenstadt, sowie eine Hand voll Dörfer und Weiler. Die Clanthonier waren gut Menschen, die ehrlich und fleißig ihrem Tagwerk nachgingen. Zwar verstanden wir zunächst vieles nicht, aber mit der Zeit gewöhnten wir uns an die Eigenheiten der Menschen. Um ihnen auch weiterhin das Gefühl zu geben, eigenständig zu sein, griffen wir nur wenig in das Leben und die Kultur der Flüchtlinge ein. Zum einen wurden ihnen die Gebote der Natur nahegebracht. Wir versuchten, ihnen beizubringen, in Eintracht und Frieden mit der Natur zu leben. Zum anderen wurde ihnen verboten, Todes-, oder Leibstrafen auszusprechen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten fügten sich die Menschen so gut man es erwarten konnte, in unser Reich ein und bereits bei der dritten Ernte könnten sie einen Teil ihres Korns verkaufen. So bekamen alle Flüchtlinge freien Zugang nach Titania, sowie das Recht, Handel zu treiben. Sie durften, ebenso wie alle Naturgeister von der Natur nehmen, was sie zum Leben brauchten. Dies schloss auch das Jagen in den Wäldern und der Steppe ein. Und obwohl anfangs überlegt worden war, den Clanthonier den Besitz von Kriegswaffen zu verbieten, gestattete Oberon ihnen, diese zu behalten. Nun rückblickend musste selbst der größte Zweifler Oberon recht geben. Diese Menschen aufzunehmen hat unser Leben und unser Wissen bereichert. Und nie wieder werde ich vergessen, als ich einige Wochen nach der Ankunft der Flüchtlinge das erste lachende Kind gesehen habe. Dies war ein Geschenk, welches wertvoller war, als alle Danksagungen und Schwüre, so ehrlich sie auch gemeint waren. Vanyar 1998 |