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Von Kobolden und Büchern

Seltsam kalt schimmerte der Feenstein in diesen Tagen. Die Zitadelle erschien leer und leblos. Dort in den zahllosen Wendelgängen und Gärtchen, wo das Leben pulsieren, sich Naturgeister tummeln sollten, hatten Lethargie und eine tumbe Taubheit alles in ein graues Einerlei verwandelt. Sicher, die Pflanzen und Tiere hatten sich augenscheinlich nicht verändert und auch Feen und Kobolde gaben sich unbekümmert ihrem Spiel hin, doch alles schien nur Fassade zu sein, ein billiger Abklatsch einstiger Glückseligkeit.

Schweigsam in dumpfes Brüten versunken, wanderte Vanyar stundenlang durch die endlosen Gänge und Galerien der Zitadelle. Die kleinen Gärten, Oasen des Lebens und der Erholung innerhalb der Gemäuer mied er. Zu offensichtlich war die Wirkung seiner düsteren Stimmung auf seine Umgebung.
"Eine Flotte, viele hundert Schiffe", murmelte er vor sich hin. Eine Armee, gesandt über den endlosen Ozean, um Höflichkeiten und Handelswaren auszutauschen? Resigniert seufzend ließ Vanyar sich in einer der zahllosen Fensternischen der Zitadelle nieder und betrachtete das muntere Treiben unter ihm in Titanias Straßen, Alleen und Plätzen.

"Die Toku, ein stolzes und ein wenig streitsüchtiges Volk, die gesamte Existenz ausgelegt auf Machterwerb und Machterhalt, waren nunmehr die Gäste der Naturgeister. Sicher, es würde noch einige Zeit ins Land gehen, bis die Schiffe jenes Steppenvolkes an den heimischen Gestaden anlegen würden, dennoch berichteten vor kurzem Windkobolde von dem Auftauchen jener Schiffe im Nor des Kontinents. Die Verbündeten waren etwas verspätet, dennoch aber leidlich angemessen eingeweiht worden."

Vanyar ließ den Blick in Richtung Hafen schweifen und beobachtete eine Weile das Spiel der vielen großen und kleinen Schiffe, Boote und Kähne, welche sich auf den glänzenden Wassern des Binnenmeeres tummelten.

"Warum im Namen Oberons eine Armee? Zwei Botschafter, nun gut, Tokustan war ein riesiges Reich, wie ihm berichtet wurde, aber warum musste jeder dieser Botschafter seinen gesamten Stamm mitbringen? Eine Ehrengarde, ein Hofstaat, all dies waren die Naturgeister gewöhnt, seitdem sie begonnen hatten, fremde Völker nach Titania einzuladen. Aber diese Dimensionen waren eindeutig neu. Die Versorgung dieser Heerschar würde sich als gute Bewährungsprobe für die neu ernannten Handelsmeister erweisen. Das Heerlager in der Steppe, nahe Port Luyen, würde wohl noch einiger Vorbereitung und Organisation bedürfen."

Kurz stahl sich ein Lächeln auf das Gesicht des so ernst dreinblickenden Waldelfen. Wie gut, dass ich von Finyen den geforderten Urlaub.....langen....sehr langen Urlaub erhalten hatte. Er beneidete Cendrasch und Lainam nicht um diese Aufgabe. Aber andere Dinge bereiteten ihm große Sorgen. Zum einen war die Wirkung jener Schiffe auf jene Nachbarreiche, die seit jeher Böses im Handeln der Naturgeister sahen oder sehen wollten. Eine derart große Flotte vermochte es zwar nicht, Reiche zu erobern, wie Finyen ihm versichert hatte, dennoch würden einige Völker eventuell verstimmt auf das Erscheinen jenes kriegerischen Volkes reagieren.

Beim letzten Fest des Friedens hatte der San auf dem Osso nochmals allen Anwesenden eindringlich erklärt, er würde lediglich einer Einladung folgen, kurz bevor er Kirtara und Ehlo offensichtlich gegen deren Willen auf die Flaggschiffe jener Flotte beordert hatte. So endgültig verstanden hatte Vanyar dieses Handeln nicht, jedoch vermutete er Gründe, welche in der inneren Reichspolitik von Tokustan zu finden waren. Da Kirtara auf jenem Osso zur Botschafterin ernannt worden war, empfand er ihren bevorstehenden Besuch als fast zwingend der Höflichkeit gehorchend. Die gleichzeitige Berufung von Ehlo, einem offensichtlichen Gegner Kirtaras, verwirrte den Waldelfen jedoch gewaltig. Aber da Falk den raubeinigen Toku in sein junges Herz geschlossen hatte, sollte es ihm auch recht sein.

Noch schwerer wog das Zusammentreffen des San mit dem Vertreter des Steinvolkes. Der San schien diesem Volk wenig gewogen zu sein. Was auch immer die Gründe hierfür waren, hatte der San höflich, aber bestimmt einen Botschafter für das Volk der Gybal Sham abgelehnt. Zwei Botschafter auf der weslichen Welt waren, angesichts des jeweils zugehörigen Hofstaates, auch wirklich mehr als genug. Noch ein, zwei mehr Botschafter und der San hätte wohl seine liebe Not, die dann leere Steppe vor etwaigen Invasoren zu schützen.

Des Elfen Blick kehrte zurück zum Marktplatz von Titania mit der großen Stele.

Gybal Sham, ein direkter Nachbar der Naturgeister, undurchsichtig in ihren Absichten und ihrem Handeln, war nicht immer leicht zu durchschauen. Einerseits war dieses durchaus freundliche Wüstenvolk an regem Handel interessiert und nutzte hier auch die Handelsrouten nach Titania, um Tauschhandel zu treiben. Gern gesehene Gäste in der Handelsmetropole waren sie, aber Vanyar erinnerte sich auch an düstere Kapitel in den Beziehungen zu jenem Volk, welche selten zu Krieg, oft jedoch zu mehr oder weniger subtil ausgestoßenen Drohungen führten. Immer wieder war Titania von den Machthabern jenes Reichs als mögliches Ziel eines Angriffs genannt worden. Militärische Stärke an der Grenze und kleinere Machtspielereien waren in Gybal Sham offensichtlich an der Tagesordnung oder gehörten dort zum guten Ton. Wie so oft verstand Vanyar die Menschen, nein...diese Menschen nicht. Bahuuni nannten die Naturgeister sie und in den Bedeutungen dieser Bezeichnung lag doch eine ganze Menge Weisheit.

Die Gedanken des Waldelfen kehrten zurück zu den Schiffen der Toku. Tausende Krieger in einem Heerlager im Tieflandstreifen. Dies würde unweigerlich zu Problemen und Auseinandersetzungen führen. Wie sollte man diesen Kriegstross beschäftigen? Es gab im Reich der Naturgeister keine Kriege auszufechten, keine Schlachten zu schlagen...Zu Zeiten der Finsternis, ja, zu jener Zeit wären diese Krieger wohl eine echte Bereicherung gewesen, wäre ihr Können hoch geschätzt worden. Versonnen gedachte er einiger längst vergangener Schlachten, welche im Namen des Lichts geführt worden waren.

Hm....vergangene Schlachten, Beschreibungen, Bücher, Bibliothek, Younani. Wie ein Blitz durchfuhr Vanyar eine Idee. Konnten die Bibliothekskobolde Bahuuni mit in ihre Bücher nehmen? Würden diese jene Reisen des Geistes unbeschadet überstehen? Konnte man sie Schlachten schlagen lassen, ohne dass jemand an Leib oder Seele zu Schaden kam?

Voller Eifer und zutiefst überzeugt von seiner Idee stürmte er die Treppen der Zitadelle hinab, durcheilte Flure, Gänge und Gärten, überquerte Plätze, Wiesen und Haine, bis er schließlich an der großen altehrwürdigen Bibliothek von Titania ankam. Dort zügelte der Waldelf seine offensichtliche Ungeduld und betrat angemessenen Schritts die Hallen des Wissens.

Er durchstreifte einige Zeit die endlosen Reihen, angefüllt mit Büchern, Knotenschnüren, beschriebenen Blättern und einigen skurrilen Dingen mehr, auf der Suche nach Younani, nun Handelsmeister in Titania und, was noch viel wichtiger war, Bücherwur...ähhm Bibliothekskobold.

Schließlich fragte er höflich, wenn auch voller Ungeduld eine Kleinfee nach dem Verbleib Younanis. Nachdem er die Frage ausgesprochen hatte, bereute er dies umgehend. Die Kleinfee wollte offensichtlich hilfreich sein und schrie den Namen des Bibliothekskobolds, so laut es konnte, durch die Hallen. Einige Studierende bedachten hieraufhin Vanyar mit bösen Blicken oder ließen manch wenig schmeichelhafte Bemerkung fallen, während der Waldelf bemüht war, dem kleinen flink umherschwirrenden Wesen zu erklären, dass dessen Hilfe nicht länger von Nöten war.

Die Kleinfee ließ sich jedoch nicht beirren und stieß, Younanis Namen aus vollem Herzen brüllend, in immer weitere Bereiche der Bibliothek vor. Vanyar lief hinter drein und versuchte, der Kleinfee habhaft zu werden, was ihm natürlich kläglich misslang.

Schließlich, nachdem nach der Überzeugung des Waldelfen die gesamte Bibliothek in ihrer Ruhe gestört worden war, gab er die Verfolgung auf und blickte resigniert dem kleinen flinken Wesen hinterher. Wieder einmal musste er sich geschlagen geben. Gegen diese Kleinfeen war einfach kein Kraut gewachsen.

Während er versonnen in einer Ecke auf einem Schemel saß und den sich immer weiter entfernenden "Younani"-Rufen lauschte, kam von hinten lautlos eine Gestalt auf ihn zu und blieb direkt hinter ihm stehen. Da der Waldelf offensichtlich rein gar nichts bemerkte, boxte ihm der Bücherkobold schließlich leicht gegen den Rücken.

"Sach mal, warum zündest du die Bibliothek nicht einfach an, wenn du mich sprechen willst? stichelte Younani.
"Tschuldigung," murmelte Vanyar verlegen, "ich war in Gedanken und habe nicht aufgepasst, wen ich frage."
"Nicht aufgepasst? Wie alt bist du eigentlich? Ähm, ich ziehe die Frage zurück...trotzdem - eine Kleinfee fragen, wo ich stecke? Du musst wirklich reichlich verwirrt sein, oder hast du wieder unten am Hafen mit den Walis gesoffen? Hm?"
Demonstrativ fing der Bibliothekskobold an, an Vanyar herumzuschnüffeln.
"Nein, in Oberons Namen ich habe nichts getrunken, und es tut mir leid, ist's nun gut?"
"Hm, nein, ich denke ich werde noch ein wenig weiter sticheln, aber zuerst kümmer ich mich um die Krawallmaus. Nicht dass noch jemand ernsthaft böse wird, wegen deines Fehlers."
"Ja, danke, ich hab's verstanden und ich warte hier", bemerkte der Waldelf etwas kleinlaut.

Younani konnte ihr breites Grinsen nur schwerlich verbergen, als sie sich aufmachte, die wild gewordene Kleinfee zu beruhigen. Nach einigem Hin und Her und viel Geduld gelang ihr dann auch der Durchbruch. Honigbrot. So sah Vanyar einige Zeit später eine zum Bersten stolze Kleinfee an sich vorbeiziehen. Das kleine Wesen war über und über mit Honig und Zuckerstaub bedeckt, was wiederum einen kleinen Schwarm Atomis anzog, die ausgiebig an der Kleinfee zu naschen begannen. Die Kleinfee jedoch war wohl offensichtlich kitzlig und floh laut kreischend und juchzend vor dem aufdringlichen Schwarm kleiner Leckermäuler.
Kopfschüttelnd sah Vanyar dem wilden Knäuel hinterher, bis ihm schließlich eines der vielen Bücherregale die Sicht versperrte. Dennoch war das hell klingende Lachen der kleinen Fee noch lange zu hören.

"So, das wäre geschafft", bemerkte der Bibliothekskobold zufrieden, während er zwischen zwei Regalreihen heraus und auf den immer noch still dasitzenden Waldelfen zukam.
"Es hat mich meine letzten Vorräte an Honigbrot gekostet, aber nun is hoffentlich wieder Ruhe."
"Ja, Ruhe wäre wohl angebracht. Ich werde dir bei den Walis neues Honigbrot besorgen gehen."
"Hm, ja gut und etwas von dem Metbrot, wenn's nicht zu viele Umstände macht. Das war auch sehr lecker. Nur leider wird die Zunge davon etwas schwer und der Kopf etwas dösig. Hast du schon mal Metbrot probiert? Wirklich sehr lecker."
"Ja, ich werde daran denken, versprochen. Hast du nun einen Augenblick Zeit für mich?"
Youani betrachtete den Waldelfen kurz, dann nahm sie neben ihm Platz und nickte ernst. "Ja, natürlich, was hast du auf dem Herzen?"
"Du hast doch bestimmt auch schon von dem Besuch gehört, den wir in der nächsten Zeit erwarten? Der San Gulba tur Garulla von den Stämmen der Toku ist meiner Einladung gefolgt. Er entsandte zwei Botschafter zu uns. Diese werden wohl in nicht all zu ferner Zukunft bei uns hier eintreffen."
"Neue Botschafter? In Titania? Ob die Bücher dabei haben?" "Hrm, da bin ich überfragt, die Toku scheinen mir ein sehr kriegerisches Volk zu sein. In Anbetracht ihrer nomadischen Kultur denke ich, sie werden wohl vieles mündlich überliefern, aber ich kann mich irren."
"Naja, werd ich dann ja sehen", entgegnete der Kobold, "aber was ist es nun, was dich zu mir führt?"

Nach kurzem Schweigen atmete der Waldelf tief durch und begann langsam und bedächtig, Youani seine Bedenken bezüglich der Botschafter und ihres Gefolges mitzuteilen.
"Ich denke einfach, es wird zu Problemen kommen. Kirtara und Ehlo scheinen mir den Streit untereinander und mit anderen zur Kunstform erhoben zu haben und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie, sollten sie in Titania ankommen, nicht von ihren Gewohnheiten abweichen werden."
Vanyar mußte ein Grinsen unterdrücken. "Ich glaube insbesondere unsere Steingeborenen, aber auch die Elfen würden auf derlei Streitereien ungnädig reagieren, was auf der einen oder anderen Seite wohl über kurz oder lang zu Blutvergießen führen würde. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass der San es nicht schätzen würde, wenn ihm seine Botschafter in einer Holzkiste zurückgesandt werden."
Younani schüttelte sich. "Du bist furchtbar, an sowas überhaupt zu denken. Sie werden unsere Gäste sein und sie werden sich ebenso wohl fühlen wie alle anderen auch."
Der Waldelf hob entschuldigend die Schultern.
"Hm, bei den Clanthoniern, den Wali oder den Caswalloniern ist das eine Sache. Diese Völker wollen Handel treiben oder Titania als neutralen Grund für ihre mannigfaltigen Verhandlungen mit aller Herren Völker nutzen. Die Stämme der Toku sind, soweit ich es verstanden habe, fast ausschließlich auf Machterwerb und Machterhalt aus. Das heißt, es liegt in ihrer Natur permanent zu kämpfen."
Younani schüttelte verständnislos den Kopf. "Das kann und will ich mir erst gar nicht vorstellen. Nein, solche Leute haben bestimmt keine Bücher." Zweifelnd sah sie dem Elfen in die Augen.
"Warum kommen diese Leute überhaupt zu uns? Am Besten sollten sie wohl dort bleiben, wo sie zuhause sind und niemand anderem schaden können."
"Du urteilst vorschnell," entgegnete Vanyar, "ich habe dieses Volk sehr zu schätzen gelernt. Sie sind ehrlich, geradlinig und verstehen die Wege der Natur wohl besser als manches Volk der Menschen, welches für sich in Anspruch nimmt, 'zivilisiert' zu sein."
"Naja," gestand der Bücherkobold schmunzelnd, "ich sollte vielleicht noch etwas mehr über die Stämme der Toku lesen, bevor ich mir ein Urteil bilde". Anschließend runzelte Younani gekonnt die Stirn. "Das alles ist ja äußerst interessant Vanyar, aber ich versteh immer noch nicht, was gerade ich mit den Toku zu tun haben soll."

Vanyar versuchte ein unschuldiges Gesicht zu machen. "Ich habe eine Idee, wie wir verhindern können, dass die Streitereien und Kämpfe der Toku den Frieden in Titania stören. Wenn es möglich ist, dacht ich mir, wir stecken sie in Bücher. Dort können sie keinen Schaden anrichten und ......."
Das Gesicht des Bücherkobolds wurde rot. "Du willst was????? Bist du denn wahnsinnig geworden? Diese Barbaren in meinen Büchern! Das is ja....ja das ist...ungeheuerlich ist das, jawoll!!" Der Kobold war von seinem Sitzplatz aufgesprungen und rannte aufgebracht vor Vanyar hin und her.
"Vergiß das ganz schnell wieder, du naseweiser Elf.....weißt du überhaupt, was diese Leute in den Geschichten anrichten können? Weißt du das? Hm?"
"Ähm, nein, weiß ich nicht," entgegnete der Waldelf etwas verlegen, darum bin ich ja zu dir gekommen, um zu fragen, ob es möglich ist."
"Möglich? Wie möglich.....nein es ist absolut UNDENKBAR....schlag dir das ganz schnell aus dem Kopf!" ereiferte sich der Kobold.
"Aber es ist möglich?" bohrte Vanyar nach. "Man könnte sie in den Büchern einsper..... unterbringen?"
"Möglich...hm naja...ich habe mal über einen Fall gelesen...." kurz schweiften die Gedanken des Kobolds ab und verloren sich in den Weiten der Bibliothek.....Younani beruhigte sich zusehens und ließ sich einfach vor Vanyars Füßen auf den leicht staubigen Boden plumpsen, während sie weiter sinnierte.
Vanyar war erleichtert, dass sich Younani so schnell wieder beruhigt hatte und betrachtete den kleinen Kobold, der vor ihm auf dem Boden saß und leise mit sich selbst diskutierte.
Schließlich, nach einigen Minuten hob sie den Kopf.
"Ja, ich glaube es ist möglich, jemanden mit in ein Buch zu nehmen. Aber es wurde nur sehr selten gemacht und ist sehr gefährlich."
"Wie, gefährlich? Es sind doch nur Bücher, was können die schon anrichten?" bemerkte Vanyar etwas gelangweilt.
"Nur Bücher? Du hast mal wieder keine Ahnung, um was es überhaupt geht. Es ist ein Kreuz mit euch Elfen. Weise und alt wollt ihr sein? Ha, dass ich nicht lache." Younani machte ein griesgrämiges Gesicht und wandte leicht beleidigt den Kopf ab.
"Nun sei nicht gleich wieder eingeschnappt, ich lass mich ja belehren. Also erklärs mir, was ist daran gefährlich?"
Seufzend wandte sich Younani wieder Vanyar zu.
"Zunächst einmal könnte durch die Handlungen des Eindringlings die Geschichte im Buch verfälscht werden. Dadurch könnte ein nicht wieder gut zu machender Schaden entstehen."
"Aha!" bemerkte der Waldelf, der etwas verständnislos zuhörte.
"Was aha? Es ist wichtig, die Schriften zu bewahren, oder siehst du das anders?"
"Nein, nein, das ist bestimmt furchtbar wichtig" beeilte sich Vanyar zu versichern, "aber ist das alles, was gefährlich ist?"
"Nein, es gibt noch eine Gefahr. Jeder, der sich in ein Buch begibt, wird Teil der Geschichte, ob er nun will oder nicht. Manche sind schlau und beschränken sich darauf, eine Randnotiz zu bleiben, von anderen wiederum wird berichtet, dass sie sich in den Geschichten verloren haben und nie wieder herausfanden."
"Wie? Aber du kannst doch jeden jederzeit wieder rausholen, oder etwa nicht?"
"Hm, grundsätzlich schon, wenn ich ihn finde und wenn derjenige mir dann glaubt, dass er nur Gast in einer Geschichte ist."
Nachdenklich geworden fragte der Waldelf: "Und wenn man Teil der Geschichte ist, kann man dann auch Schaden nehmen in den Büchern?"
"Hm, alles wird dir real erscheinen, solange du in dem Buch verweilst. Wenn du es wieder verlässt, dann werden die Verletzungen des Leibes verschwinden, die der Seele werden bleiben, das ist die Magie der Bücher.
Manche Bahuunis verkraften eine solche Reise auch nicht und kehren, wenn überhaupt, mit verwirrtem Geist zurück.
Und hüte dich davor, zu viel zu wagen, denn solltest du in der Geschichte sterben, so wirst du glauben tot zu sein und niemand wird dich je erretten können. Auch das ist die Magie, die den Büchern innewohnt."
Nachdenklich geworden erhob sich der Waldelf und fixierte sein Gegenüber mit ernstem Gesicht. "Ich will es probieren, Younani."
Sie sah verständnslos zu dem Waldelfen auf. "Was probieren?"
"Bring mich in die Aufzeichnungen zum Ende der Finsternis. Lass mich erneut erleben, was es heißt, der Finsternis die Stirn zu bieten. Ich..."
"Vanyar!" unterbrach der Bibliothekskobold den Waldelfen mit beschschwörendem Tonfall. "Diese Bücher sind gefährlich, ihre Geschichten sind grausam und blutig und ich denke, manch einer der Folianten aus alter Zeit hat gar einen eigenen, bösen Geist, der ihm innewohnt."
"Ich muss es vorher probieren", schob der Elf offensichtlich als Grund vor." Bevor ich verantworte, dass Bahuuni diesen Weg gehen, muss ich ihn erst selbst beschreiten."
"Ich habe nie zugestimmt, dir bei dieser aberwitzigen Idee zu helfen."
Youani verschränkte die Arme. "Schlag dir das aus dem Kopf."
"Younani, bitte, es ist sehr wichtig für mich...bitte hilf mir!" Immer noch hielt Vanyar den Blick des Bücherkoboldes mit dem seinen fest.
"Hör auf...hör sofort auf, so zu schauen! Vanyar, ich kann das nicht verantworten. Überleg doch, was Keo mit mir macht, wenn sie das herausfindet. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass Finyen so einiges zu sagen hätte, wüßte sie von deinen Plänen."
"Keo ist auf dem Weg nach Caswallon. Sie wird wohl erst in einiger Zeit zurückkehren. Bitte, Younani, ich werde auch sehr vorsichtig sein, eine Randnotiz, wie du doch sagtest. Ich will mir nur einen kurzen Eindruck verschaffen, das ist alles."
"Und es muss einer dieser alten, schlimmen Folianten sein? Kein clanthonisches Buch über Ritter, Drachen und hübschen Burgfräulein?"
"Ich fürchte, das ist nicht das, was ich suche. Ich ...es muss einfach sein. - Hilfst du mir nun?" Mit flehendem Blick suchte er erneut den Blickkontakt.
Der Bücherkobold atmete tief durch.
"Nun gut ein kurzer Blick.... ein ganz kurzer und du hältst dich genau an meine Anweisungen?"
"Ja, versprochen", versicherte der Waldelf sofort.
"Nun gut, dann komm mit."

Younani führte den Elfen in ein sehr altes, abgelegenes Gewölbe unterhalb der Bibliothek. Auf überladenen Regalen lagen eine Unmenge an Schriftrollen, Blättern, Knotenschnüren oder anderen Schriftstücken. Und über allem lag das aus weißlichem Staub bestehendes Leichentuch der Zeit.

"Hier war schon sehr lange niemand mehr", flüsterte der Kobold. "Komm weiter und fass ja nichts an."
Vanyar hatte einen kleinen Edelstein aus einer seiner Taschen genommen und beschwor mit einem kurzen Gedanken ein sanftes Licht, welches ihren Weg ein wenig erleuchtete und die zum Teil bedrohlich wirkenden Schatten zurückweichen ließ.

Schließlich bog der Bücherkobold nach endlosen Reihen von Regalen scheinbar zufällig in einen kleinen Zwischengang ab. Von dort führte nach einiger Zeit eine kurze Treppe ein weiteres Stockwerk tiefer in die Katakomben unter der Bibliothek. Der fein von Zwergen gearbeitete Stollen zeigte an den Wänden und dem Boden aufwändige Ornamente und Mosaike. Schließlich mündete der Gang in einen 5 mal 5 Meter messenden Raum. An der Stirnseite des Raumes stand ein einzelnes, sehr stabil gearbeitetes Regal. In ihm ruhten, von der Zeit scheinbar unberührt, eine Vielzahl an großen, beeindruckenden Büchern und Folianten. Vor dem Regal in der Mitte des Raumes stand ein großer, steinerner Schreibtisch, welcher offensichtlich aus dem Fels herausgeformt worden war. An beiden Seiten des Tisches standen je ein schmuckloser Schemel. Und auch hier war alles mit einer dicken Staubschicht bedeckt.

Der Bibliothekskobold wies den Elfen an, sich zu setzen und sich dann still zu verhalten. In gespannter Erwartung tat Vanyar, wie ihm geheißen und nahm Platz, während Younani sich suchend und forschend dem Regal zuwandte.
Nach einiger Zeit nahm der Kobold ein großes, mit schwarzem Leder gebundenes Buch mit kunstvoll gefertigten Beschlägen aus dem Regal.
"So, hier ist, was du begehrst. Die einzig wahre Chronik vom Ende der Finsternis. Ein Buch voller Schrecken, Gewalt und Tod. - Willst du das wirklich tun, Vanyar?"
Der Waldelf nickte. "Nehmen wir das Buch mit?"
"Nein, es darf diese Kammer nicht verlassen. Auf diesem Ort liegt ein Zauber, damit die Zeit diese Bücher unbehelligt läßt."
"Gut, wenn es so sein soll, dann halt hier." Vanyar legte den sanft leuchtenden Stein auf den Schreibtisch. "Was muss ich tun?"
"Du? Gar nichts. Du musst mir vertrauen, während ich ein passendes Kapitel suche . Und du musst versuchen, dir jederzeit bewußt zu sein, dass du nur zu Gast bist...hast du das verstanden?"
"Ja, ich bin nur eine Randnotiz", bestätigte Vanyar.
Der Bücherkobold legte das schwere Buch sorgfältig auf dem großen Tisch ab und schlug es es auf. Nach einer kurzen Weile sah Younani auf und winkte Vanyar mit einer kurzen Geste zu sich. Sie umfasste zwei Finger seiner rechten Hand und konzentrierte sich. Der kleine düstere Raum begann zu verschwimmen. Nebel bildeten sich aus dem Nichts und umhüllte die beiden Naturgeister.

Nachdem sich die Nebelschwaden gelegt hatten, standen beide nun auf einem kleinem, spärlich bewachsenem Hügel. Überrascht blickte und tastete der Waldelf an sich herab. Er hatte seine alte Rüstung aus der Zeit vor der Zeit angelegt. Schwert, Dolche, Wurfdornen, alles war an seinem gewohnten Platz. Etwas verwirrt sah er nun zu seiner Begleiterin hinab, die ihm nun ein wenig größer vorkam. Younani war ebenfalls gerüstet, nur dass ihre fein gearbeitetes Kettenhemd funkelte und blinkte, wohin gegen Vanyars zerkratzte und verbeulte Rüstung brüniert und dunkel eingefärbt war.

Der Waldelf sah sich nun weiter um. Eine Orientierung war schwer, auch wenn er den deutlichen Eindruck hatte, dass er die Gegend kannte.
Der wolkenverhangene Himmel spendete der kränklich und seltsam verdreht anmutenden Natur rings umher nur spärliches Licht. Alles erschien mit einem grauen Schleier überdeckt worden zu sein. Unten in einem Tal fand der Waldelf in einiger Entfernung einige Wachfeuer eines Heerhaufens. Versonnen ließ er den Blick weiter schweifen und erkannte, nachdem er sich etwas besser an das Licht gewöhnt hatte, nicht weit von dem unbekannten Heerlager entfernt provisorische Verteidigungsanlagen. Offensichtlich handelte es sich hierbei um den derzeitigen Frontverlauf.

Ein Schrei riß Vanyar aus seinen Gedanken. Der Bücherkobold starrte mit offenem Mund auf eine Kreatur, die soeben hinter einem dichten Gebüsch hervorgekrochen kam. Der Leib dieses Wesens war mit seltsam verdreht wirkenden Schuppen über und über bedeckt. Links und rechts wuchsen je drei Beine aus dem Körper. Die Beine endeten in gefährlich anmutenden Klauen. Der Kopf der Kreatur war unverhältnismäßig groß und wurde von einem großen, mit langen spitzen Zähnen gespickten Gebiß dominiert.

"Ein Golgar!" entfuhr es Vanyar, noch während er mit jeder Hand vier seiner Dornen aus den Taschen am Gürtel nahm und diese in schneller Folge auf das Untier warf. Die Dornen trafen alle das Tier, wobei mindestens drei der metallenen Spitzen an der Schuppenrüstung des Kopfes abprallten. Zwei Dornen hingegen trafen direkt das Maul des Golgar und bohrten sich tief in das dort weiche Fleisch am Gaumen. Dunkles grünliches Blut schoß aus dem Maul des Untiers, das gepeinigt aufschrie und seinen Körper zum Angriff auf die beiden Naturgeister aufrichtete, so dass es Vanyar um eine Koboldgröße überragte. Der Golgar hatte nun zwei seiner Krallen erhoben und blickte in irrem Wahn aus kleinen roten Augen auf seine vermeintlichen Opfer.
Vanyar zog sein Schwert und sprang auf das Untier los. Der Kopf des Golar schoß mit weit geöffnetem Maul nach vorne und versuchte, Vanyar zu packen. Der Waldelf entkam diesem Angriff nur knapp, indem er sich instinktiv nach vorne abrollte. Dort mußte er sofort einem der beiden Krallenarme ausweichen, der nach ihm griff.

Younani stand vor Schreck erstarrt einige Meter abseits und sah auf das Ungetüm, das versuchte, Vanyar zu töten. Der Waldelf tat sich offensichtlich schwer, die vielen ungestümen Angriffe der Kreatur abzuwehren, und mehr als einmal hörte der Kobold, wie die Krallen des Golgar über die lädierte Rüstung des Waldelfen fuhren. Mehr Glück als Können bewahrten Vanyar zu Beginn des Kampfes vor einer schweren Verletzung.
Je länger der Kampf jedoch andauerte, um so fließender und geschmeidiger wurden die Bewegungen des Elfen im Kampfe, als würde sich dessen Körper wieder an lange vergessen geglaubte Fähigkeiten erinnern.
Younani betrachtete mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu den dargebotenen Kampf und wagte selbst nicht, aktiv in das Geschehen einzugreifen.
Vanyar währenddessen begann mit neu gewonnener Selbstsicherheit ein ums andere Mal die Rüstung des Golgar zu durchdringen und fügte diesem viele kleine blutende Wunden zu. Ein wirklich schwerer Treffen gelang jedoch auch dem Waldelfen nicht.

Vanyar wich immer noch zurück und versuchte, das Untier zu ermüden, und dieses folgte seinem Widersacher, nun eine immer größer werdende Blutspur hinter sich herziehend. Schließlich konnte der Waldelf mit einem von unten nach oben geführten Streich den linken Krallenarm durchtrennen. Die Krallenhand fiel zu Boden und während das Tier laut aufheulte, ergoss sich ein Schwall heißen Blutes stoßweise aus dem Armstumpf.
Der Waldelf setzte nun nach und konnte dem Tier einige schwere Verwundungen an Kopf und Hals zufügen. Schließlich brach der Golgar am Rande der Hügelkuppe, nahe dem angrenzenden Unterholz, keuchend zusammen.

Younani atmete tief durch und bewegte sich nun vorsichtig in Richtung des Kampfplatzes, während Vanyar langsam um das Untier herumging.
Dann hob der Elf das Schwert und führte, begleitet von einem erschreckten Schrei Younanis, einen letzten beidhändig geführten Streich gegen den Hals des verletzten Wesens. Der Kopf des Untiers wurde vom Rumpf getrennt und ein weiterer Schwall Blut spritzte umher. Auch Vanyar und Younani wurden von dem zähen, grünlichen Blut benetzt.
Die Hügelkuppe sah aus wie nach einem Schlachtfest und während Younani ob der unerwarteten Gewalt um ihre Fassung rang, säuberte Vanyar am Rande des Kampfplatzes seine Rüstung und überprüfte dann in einer fast unnatürlichen Ruhe die Schneide seines Schwertes, das er fast liebevoll zu betrachten schien.
"Vanyar? Vanyar...war das wirklich nötig? Ich meine das Töten? Und die Dornen? Vanyar?"
Der Kobold war immer noch fassungslos. "Vanyar, ich rede mit dir. Du hast das Tier angegriffen und du hast es umgebracht. Umgebracht obwohl es sich nicht mehr wehren konnte. Sag, warum hast du das getan?"
Der Waldelf sah auf und betrachtete den Kobold mit einem seltsamen Flackern in den Augen. "Es war nötig...es war ein Golgar...niemand läßt einen Golgar am Leben." Dann wandte sich Vanyar wieder der Schneide seines Schwertes zu und untersuchte es weiter.
"Vanyar, ich kenne dich so gar nicht. Du nimmst Leben? Ohne Grund?"
"Ich sagte doch, es war ein Golgar. Younani, die Finsternis gebar viele schlimme, dunkle Dinge und es war...es ist unsere Aufgabe, diese Kreaturen zu jagen und zu erlegen, bevor sie uns töten."
"Es ist nicht recht, Leben ohne Not zu nehmen", sagte der Kobold nun mit Trauer in der Stimme. "Egal, ob Finsternis oder nicht. Lass uns zurückkehren, Vanyar, ich finde diese Welt bedrückend und kalt. Ich möchte wieder gehen."
Der Waldelf sah wieder auf und fixierte den Kobold. "Ich kann noch nicht weg, Younani. Aber ich denke, es wäre besser, du würdest gehen und mich alleine hier lassen. Natürlich nur für eine Weile", fügte er beschwichtigend hinzu.
Zweifelnd betrachtete Younani ihr Gegenüber. "Warum mußt du hierbleiben? Was in Oberons Namen suchst du hier?" "Vertrau mir bitte." Vanyar versuchte zu lächeln, was ihm kläglich mißlang. "Gib mir nur einen Tag, dann kannst du mich genau hier an dieser Stelle wieder abholen."
"Ein Tag? Und ganz bestimmt nicht länger?"
"Ein Tag! Und ja, ich weiß es immer noch...Ich bin nur eine Randnotiz, ich habe es mir gut gemerkt."
Widerstrebend nickte Younani. "Gut, ich lass dich allein. Aber sei pünktlich."
Als der Waldelf erneut nickte, wandte sich der Bibliothekskobold um und konzentrierte sich. Kurze Zeit später stand er wieder in dem kleinen Raum unterhalb der Bibliothek. Das große Buch lag immer noch auf dem Tisch. Und dort, wo der Waldelf gesessen war, lag nur noch der kleine leuchtende Edelstein und spendete sanftes Licht.


Reise ins Selbst
Langsam und bedächtig ging Vanyar den spärlich bewachsenen, mondbeschienenen Hügel hinunter und näherte sich vorsichtig dem im Tal gelegenen Feldlager. Er wollte, dass die Wachen am Rande der zahlreichen Zelte und Lagerfeuer ihn frühzeitig bemerkten und sich so auf sein Kommen einstellen konnten. Daher mied der Waldelf jede unübersichtliche Stelle und widerstand mehr als einmal dem Drang, sich in das schützende Unterholz zu schlagen.

"Halt!" ertönte es aus einem Dickicht 30 Schritt vor ihm. "Wer bist du und was suchst du hier"?
Aus dem Dunkel des Gebüschs traten Vanyar vorsichtig zwei Elfen entgegen. Beide Wachen waren voll mit Leder und Stahl gerüstet und zielten mit ihren Langbögen auf seine Brust. Der Waldelf hob zum Zeichen des Friedens beide Hände langsam an. "Mein Name ist Vanyar. Ich wurde dort oben von einem Wesen der Finsternis angefallen und wollte mich an den Feuern eures Lagers ein wenig von dem anstrengenden Kampf erholen." Während er dies sagte, wies seine linke Hand den Hügel hinauf, den er herunter gekommen war.
"Hm, ein Untier sagst du?" Beide Wachen wurden noch etwas nervöser und spähten angestrengt in die Nacht. "Es ist ein schlechtes Omen, wenn sich die Kreaturen der Finsternis so nah an die Lager heran wagen."
"Komm mit, unser Kommandant soll entscheiden, was mit dir zu geschehen hat". Der Wortführer dirigierte Vanyar mit seinem immer noch schussbereiten Bogen vor sich und wies ihm den Weg in das Lager. Der Waldelf widersetzte sich nicht und tat, wie ihm befohlen. Auch als er im Lager von herbeieilenden Soldaten entwaffnet und durchsucht wurde, ließ er dies ohne Klagen über sich ergehen.
So gelangte er schließlich mitten in der Nacht zum Kommandanten des kleinen Heerlagers. Er war hierbei ein wenig überrascht, als sich ein stämmiger, rothaariger Zwerg vor ihm aufbaute und ihn mit wachsamen Augen musterte.
"Nun, du hast bestimmt eine interessante Geschichte zu erzählen Elf", wandte sich der Zwerg an ihn. "Schade, dass uns wohl kaum die Zeit bleiben wird, sie zu hören. Die Späher bestätigten deine Geschichte vom Kampf auf dem Hügel und jeder, der eine Waffe zu führen weiß und gegen die Finsternis kämpft, ist hier bei uns willkommen." Der Zwerg reichte ihm einen mit Bier gefüllten Krug. "Mein Name ist Begatar".
"Ich bin Vanyar", antwortete der Elf und prostete dem Zwerg und den umstehenden Soldaten zu. Dann nahm er einen großen Schluck des derben, fast bitteren Bieres.
Der Zwerg verzog sein bärtiges, wettergegerbtes Gesicht zu einem Grinsen und trank seinen Krug leer. Damit war Vanyars Aufnahme in den Heerhaufen vollzogen. Noch während er seine Waffen zurück erhielt, begann Begatar damit, den Umstehenden die Lage zu schildern.
"Im Nor und im Est sind die Schergen der Feinde weiter vorgedrungen. Wenn nicht bald Verstärkung kommt, wird der estliche Pass, welcher das Hügelland mit dem Waldland verbindet, nicht mehr zu halten sein." Der Bericht drückte deutlich auf die Stimmung der Soldaten. Es entwickelte sich ein lautes, emotionsgeladenes Chaos, worin jeder seine Meinung kund tat und versuchte, die Umstehenden von seiner Sicht der Dinge zu überzeugen.
Vanyar hingegen erinnerte sich der Worte des Bibliothekskobolds und hielt sich bedeckt. Er gab natürlich die ein oder andere Antwort, als er gefragt wurde, doch er bemühte sich redlich, im Hintergrund zu bleiben und zu beobachten.
"Nur eine Randnotiz" murmelte er hierbei einige Male vor sich hin. Die lebhafte Diskussion dauerte bis zum Morgengrauen an. Schließlich war es Begatar, der das Gezeter beendete und widerstrebend dreißig seiner Kämpfer zu dem besagten Pass entsandte.
"Ihr müsst den Pass halten, komme was da wolle", beschwor er einen weiteren Zwerg, den er zum Führer jener Gruppe ernannte. Auch Vanyar wurde dieser Gruppe zugeteilt, so verließ er, kaum vier Stunden nachdem er angekommen war, mit neuer Ausrüstung und Material beladen das Feldlager wieder und marschierte, seinem Vordermann stumm folgend, den Hügel hinauf auf die Berge zu. Der Steig, dem sie folgten, führte steil bergauf in einen Hochwald. So gelangten sie schließlich um die Mittagszeit auf einen mit Felsen umsäumten Hohlweg, der bis zum Pass hinauf führte.
Am Paß angekommen begann der Trupp sofort, sich einzurichten. Zelte wurden errichtet und das Lager anschließend mit Holz und Stein befestigt.
"Alarm, das Gezücht stürmt den Pass!" ertönte es plötzlich aus dem Wald, und noch während die völlig unvorbereiteten Krieger ihre Waffen und Rüstungen zusammensuchten, stürmte der Feind auf den Pass zu.
Menschen, Zwerge, Elfen und Wesen, die Vanyar nicht zu benennen vermochte, rannten blindlings den Hohlweg hinauf. Dort trafen sie auf den ersten zaghaften Widerstand an den unfertigen Palisaden. Die Soldaten dort konnten den Ansturm jedoch nicht lange aufhalten und wurden von der heranstürmenden Woge von Feinden zermalmt. Aus dem Augenwinkel konnte der Waldelf beobachten, wie eine große hässlich gezahnte Axt durch Rüstung und Fleisch eines tapfer an der Palisade kämpfenden Elfen fuhr und ihn regelrecht in Stücke riß.
Kalte Gleichgültigkeit breitete sich in Vanyar aus, während er Schwert und Dolch zog. So begann er das blutige Handwerk, das er so lange verdrängt und verleugnet hatte, aufs Neue. Während links und rechts neben ihm Zwerge in heißer Wut zwischen die Feinde fuhren und so vielfach den Tod brachten, hielt sich Vanyar am Rande des Schlachtfeldes auf. Er umging die Linie der Angreifer und trat leise von hinten zwischen sie. Mit Dolch und Schwert tötet er so einige der Bogenschützen und Plänkler des Feindes, indem er diese von hinten erdolchte oder ihnen die Kehle durchschnitt.
Während keine 20 Schritt vor dem Waldelfen der Kampf mit unverminderter Härte tobte, nahm sich Vanyar schließlich einen der Bögen eines vormals Getöteten und begann damit, Pfeil um Pfeil gegen den Rücken der feindlichen Kriegerschar zu senden. Einige der Pfeile fanden ihr Ziel und einige weitere Feinde brachen verletzt oder tödlich getroffen zusammen.
Schließlich gelang es einer kleinen Schar von Menschen und Zwergen, die Angreifer zurück in den Hohlweg zu drängen, während die Elfen ihre Bögen nutzten, um die Reihen der Angreifer weiter zu lichten. Vanyar wiederum musste sich nun schnell zurückziehen, da man ihn bemerkt hatte und nun wütend Jagd auf ihn machte. Der Waldelf bemühte sich, immer Deckung suchend, zwischen den Felsen und Bäumen zurück ins Lager auf dem Pass zu gelangen, doch drei Feinde hatten sich auf seine Fährte gesetzt und hetzten ihn wie ein waidwundes Tier durch den Wald. Hierbei waren sie sehr geschickt und verhinderten gekonnt, dass Vanyar in das Lager zurückkehren konnte. Im Gegenteil, sie trieben den Waldelfen immer tiefer in die Wildnis am Steilhang des Berges.

Dem Waldelfen blieb schließlich nichts anderes mehr übrig, als, aller anderen Wege beraubt, den Weg in der Steilwand des Berges zu suchen. Kaum war er jedoch in die Wand gestiegen, da schlugen um ihn herum die ersten Pfeile ein. Schwitzend hangelte Vanyar sich einen schmalen Sims entlang, als ihn plötzlich ein dumpfer Schlag an der rechten Schulter traf. Heiße Wogen des Schmerzes durchzuckten den Körper des Elfen, während er gerade noch einen Absturz verhindern konnte. Als weitere Pfeile knapp neben ihm einschlugen, begab sich Vanyar schließlich auf alle Viere und kroch den Sims entlang, bis er schließlich zu einem kleinen Plateau kam, welches von unten nicht einzusehen war. Dorthin flüchtete er sich und zog sich so weit als möglich an die schroffe Felswand zurück.
Hier erst besah sich Vanyar seine Wunde. Ein Pfeil hatte ihn genau an der rechten Schulter getroffen. Der Pfeil hatte die Lederrüstung, das Kettenhemd und die Schulter glatt durchschlagen und ragte nun sowohl am Rücken als auch über der linken Brust aus Vanyars Körper. Vanyar spürte das Blut, das langsam aber stetig aus den Wunden drang und wie langsam alles Leben aus ihm herausfloß.

"Nein, nicht auf diese Art", schoss es dem Elf durch den Kopf. Er musste den Pfeil entfernen, damit er die Wunde versorgen konnte.
Sinnierend ließ der Elf den Blick schweifen. So entdeckte er erneut seine Verfolger, die sich nun ebenfalls daran machten, die Felswand empor zu klettern. "Sie wollen mir den Gnadenstoß versetzen", stellte Vanyar nüchtern fest und tastete nach seinem Dolch. Dann legte er sich auf den Felsvorsprung und verriet den drei Verfolgern so ganz genau, wo er sich befand.
Vanyar beobachtete ruhig, fast gelassen, die Bemühungen der drei Menschen und ließ sie bis auf wenige Schritt an seine Zuflucht herankommen. Dann rappelte er sich auf und warf seinen Dolch nach dem ersten Verfolger. Die Klinge der Waffe drang mit einem dumpfen Laut seitlich in den Hals des Kriegers. Dieser fasste sich daraufhin mit den Händen an die Kehle. Seines Halts in der Felswand beraubt, verlor er jedoch das Gleichgewicht, und stürzte kopfüber den Hang hinab, wo er mit einem deutlich hörbaren Aufprall auf einem großen Findling zerschellte.
Die beiden verbliebenen Gegner ließen nun jedoch nicht, wie Vanyar erwartet hatte, von ihrem Opfer ab. Der Tod ihres Gefährten schien sie noch in ihrem Vorhaben zu bestärken. Sie kletterten jetzt, sich abwechselnd mit Bogen und Pfeil sichernd, immer näher an den Unterschupf des Elfen heran. Als Vanyar sich hier einmal einen Wimpernschlag zu lange zeigte, traf ihn der nächste Pfeil. Die Spitze des Pfeils streifte die linke Schläfe und riss ein großes Stück Haut mit sich.
Stöhnend brach Vanyar blutüberströmt zusammen. Er konnte seine Angreifer nun schon klettern hören, so nah waren sie an ihn heran gekommen. Nur sehen konnte er, ob des Blutes und der nun tränenden Augen, fast nichts mehr.
Sein Schwert würde ihm nun wohl nicht mehr sehr viel nutzen. An einen Zweikampf war, halb geblendet, nicht zu denken. So besann sich der Elf auf seine sehr lange zurückliegenden Kindertage und begann kleine und größere Steine, welche er auf dem Plateau fand, nach den Angreifern zu werfen. Hierbei musste sich Vanyar fast gänzlich auf sein Gehör verlassen. Immer und immer wieder schleuderte er Steine und Kiesel in Richtung seiner Verfolger. Mit einem der letzten Steine, die er auf dem Felsvorsprung fand, traf er dann offensichtlich einen weiteren Menschen. Dieser stöhnte auf und stürzte mit einem lauten Aufschrei ebenfalls in die Tiefe.
Der letzte verbliebene Feind hielt nun inne, sodass Vanyar ihn nun nicht mehr hören konnte. So angestrengt er auch lauschte, es drang kein Laut mehr zu ihm hinauf auf die Felsnase. Dem Elfen blieb zunächst nichts anderes übrig, als sich so weit als möglich zurückzuziehen und zu versuchen, seine Sinne, vor allem sein Augenlicht, zurückzugewinnen. Also begann er damit, seine Augen mit dem wenigen Wasser, welches er in einer Feldflasche mit sich führte, auszuspülen. Anschließend schnitt er mit seinem Schwert einige Streifen von seinem Untergewand herunter und verband damit notdürftig die Fleischwunde an der linken Schläfe.
Während seiner Bemühungen jedoch hielt er immer wieder inne und lauschte in den heranbrechenden Abend hinein, ob sein Gegner sich durch ein Geräusch verraten würde. Die stete Unsicherheit, nicht zu wissen, wo sein Feind war und was dieser im Sinn hatte, machten Vanyar immer unruhiger und nervöser. Der Blutverlust und die damit einher gehenden Schmerzen hinderten ihn jedoch daran, selbst aktiv zu werden.

Nachdem sein Augenlicht größtenteils zurückgekehrt war, konnte der Waldelf nun in der einsetzenden Dämmerung versuchen, seinen Gegner in der Felswand zu finden oder nach einem Fluchtweg zu suchen. So robbte er erneut an die Kante des Plateaus heran und spähte vorsichtig hinunter. Er entdeckte seinen Feind weniger als 20 Schritte entfernt in einer Nische kauernd. Der Mensch hatte sich einen grauen Umhang umgelegt und spähte bewegungslos in seine Richtung. Vanyar glaubte auch, einen Bogen in den Händen des Menschen zu entdecken.
"Er ist geschickt", musste Vanyar ihm widerwillig zugestehen. Es war schlicht nicht möglich, das Plateau unbemerkt zu verlassen. Und ein weiterer Pfeiltreffer würde unweigerlich einen Sturz und damit auch den Tod bedeuten.
"Ich brauche eine Waffe", sinnierte der Waldelf und fuhr mit den Händen erneut tastend über den nackten Fels. Die wenigen kleinen Steine, die er auflesen konnte, waren kaum geeignet, dem Feind zu schaden. Sie waren einfach zu klein.
"Hm, töten kann ich ihn mit den Steinen nicht, aber treffen sehr wohl. Wie dem Menschen wohl eine Nacht ohne Ruhe bekommt?" Er verzog das Gesicht zu einem gehässigen Grinsen. "Vielleicht lässt sich der Feind zu einem unbedachten Schritt hinreißen".
So begann er damit, den Menschen mit kleinen Kieseln zu bewerfen. Und auch wenn nicht alle Steine ihr Ziel trafen, so zeigten die regelmäßigen Treffer doch Wirkung. Zunächst, so sah Vanyar, legte der Mensch seinen Bogen zur Seite und versuchte, sich weiter in die Felsnische zu drängen. Als einmal ein geworfener Kiesel über dem Versteck des Feindes einen kleinen Steinschlag auslöste und zahlreiche kleine Steine, wohl aber auch ein paar ansehnliche Felsstücke, auf ihn hinabregnen ließ, gab der Mensch sein Versteck auf. In der sternenklaren Nacht konnte Vanyar deutlich eine größere Platzwunde an der Stirn des Menschen erkennen, als dieser mühsam, aber immer noch vorsichtig und besonnen den Fels hinunter und damit aus Vanyars Sicht klettere.

Der Waldelf sah nun seine Chance gekommen. Er verließ ebenfalls seinen Standort und bemühte sich, den Fels weiter hinauf zu klettern. Hierbei wurde ihm der immer noch aus seiner Brust ragende Pfeil mehr als einmal fast zum Verhängnis. Immer wieder streifte die Spitze des Pfeiles die schroffe Felswand und sandte Wogen grimmigen Schmerzes durch den Körper des geschwächten Elfen. So erreichte dieser erst kurz vor Morgengrauen das Ende des Felsens. Von dort schleppte er sich, immer noch überzeugt verfolgt zu werden, einen Wildpfad entlang und erreichte so mehr zufällig als gewollt nach zwei weiteren Wegstunden, die er halb in Trance herumwanderte, den Pass. In Sichtweite der Palisade verließen den Elfen dann entgültig seine Kräfte und er brach bewusstlos zusammen.

Als Vanyar wieder erwachte, befand er sich in einem spärlich beleuchteten Zelt. Um ihn herum lagen weitere Krieger, die teilweise schliefen. Manche jedoch weinten auch leise oder stöhnten vor Schmerzen. Es roch nach Blut und Tod und der Elf musste an sich halten, um sich nicht zu übergeben. Er befand sich offensichtlich in einem Zelt voller Verwundeter und wohl auch Toter.
Von dem Geruch und den Geräuschen gepeinigt versuchte der Elf sich zu erheben. Sofort überkam ihn heißer Schmerz aus der linken Schulter und ließ ihn stöhnend zusammensacken. Als der Schmerz nach einiger Zeit verebbt war, begann er damit, sich vorsichtig abzutasten. Der Pfeil in seiner Schulter war wohl entfernt und die Wunden verbunden worden. Trotzdem fühlte sich der Elf schlecht. Er hatte Schmerzen und mit der Zeit bemerkte er auch, dass er großen Durst hatte.
"Nun, es wird Zeit, dass du wieder erwachst." Ein Kobold mit nachtschwarzen Gewändern und einigen Schellen an Armen und Beinen war lautlos zu ihm getreten. "Wir hatten schon Sorge, dass wir dich zu spät gefunden haben." Der Kobold reichte dem Elfen einen irdenen Becher mit Wasser.
"Ich bin Immerschimmer, der Feldscher", stellte er sich vor, "und ich bin froh, dass du das Gnadenmesser noch nicht erhalten hast. Deine Wunden sahen schlimm aus, musst du wissen."
Vanyar hörte kaum auf das, was der Kobold ihm erzählte, und trank statt dessen mit gierigen Schlucken den Wasserbecher leer.
"Wie lange hab ich geschlafen?" fragte er, nachdem er den leeren Becher zurück gegeben hatte.
"Fast zwei volle Tage", antwortet Immerschimmer. "Du hast viel Blut verloren und solltest dich schonen, damit die Wunden heilen können."
Der Waldelf stutzte. "Warum nutzt ihr nicht die Gabe der Natur und versucht die Heilung zu beschleunigen?" "Beschleunigen? Du meinst, du hast die Gabe, Wunden heilen zu lassen?" Der Kobold sah ihn fassungslos an. "Ich? Nur ein ganz klein wenig", entgegnete Vanyar und begann, jene bei seinem Volk altbekannte Melodie zu summen, wie sie zum Versorgen von kleinen Schürf,- und Schnittwunden verwendet wird. Wie gewöhnlich durchfloss Vanyar hierdurch ein wohliger Schauer und nach kurzer Zeit begannen oberflächliche Wunden abzuheilen.
Der Kobold beobachtete dies mit großen Augen. "Ich hatte schon von solchen Dingen gehört, habe aber immer geglaubt, sie seien der Aufschneiderei der Elfen zuzurechnen. Ich muss das den anderen erzählen". Mit diesen Worten rannte Immerschimmer aus dem dämmrigen Zelt, in dem es merkwürdig still geworden war. Die Schmerzensschreie waren weniger und das Stöhnen leiser geworden.
Noch während der Waldelf dem Kobold nachsah, hörte er auf, die Melodie zu summen. Vanyar wollte sich gerade wieder auf sein Lager legen, da wurde er von seinem rechten Nebenmann, einem zuschundenen Elfen mit nur noch einem Arm angestupst.
"Bitte mach weiter", bat er, "die Schmerzen werden erträglicher, wenn du die Melodie summst."
Vanyar sah überrascht zu dem Elfen. Noch nie war er gebeten worden, zu singen oder auch nur zu summen. Es gab wahrlich begabtere Sänger als ihn. Dennoch begann er erneut, das Lied, an dessen Text er sich merkwürdigerweise nicht erinnern konnte, zu summen. Sein Nachbar schloss daraufhin die Augen und ließ sich mit einem Seufzer zurück auf sein hartes Lager sinken.
Der Waldelf blickte sich nun, während er summte, im Zelt um. Seine Augen hatten sich zwischenzeitlich an das Dämmerlicht gewöhnt und so sah er, dass die Augen einiger leichter verletzter Krieger auf ihm ruhten. Nach einiger Zeit begannen die ersten Patienten, die eingängige Melodie mitzusummen, bis schließlich alle, die dessen fähig waren, einstimmten und das Lazarett mit dem Lied aus Vanyars Kindertagen erfüllt wurde.
Zu dieser Zeit kehrte Immerschimmer zusammen mit zwei Zwergen, einem Elfen und einem Menschen zurück. Die Gruppe blieb am Eingang des Zeltes stehen und besah sich den Chor von Verletzten, die leise aber dennoch bestimmt die Melodie summten.
"Erstaunlich...ein Wunder...ein Geschenk der Götter!" und Ähnliches glaubte Vanyar zu hören, als die Gruppe wieder vor das Zelt trat und dort anfing zu diskutieren. Schließlich kam der Kobold zusammen mit einem Zwerg wieder herein und bat den Elfen, mit ihm vor das Zelt zu kommen. So verließ Vanyar, durch seine zwei Begleiter gestützt und noch reichlich wackelig auf den Beinen, das Lazarett in dem improvisierten Lager.

Kaum hatte sich Vanyar an das Feuer gesetzt, an das er geleitet worden war, wurde er mit Fragen bestürmt.
"Wieviele Lieder gibt es?" fragte ihn der Mensch, den er nun als Frau in einem waldgrünen Kittel erkannte.
"Gibt es auch stärkere Magie?" wurde er gleichzeitig von einem Elfen mit schlohweißem Haar bedrängt.
"Kannst du uns unterweisen?" bat derweil ein Zwerg, der trotz der offensichtliche Wirkung des kleinen Liedes misstrauisch zu sein schien.
Vanyar versuchte abwehrend die Hände zu heben, was ihm jedoch sofort schmerzlich in Erinnerung rief, dass bis vor kurzem noch ein Pfeil in seiner rechten Schulter gesteckt hatte.
"Es tut mir leid, ich kenne nur dieses und vielleicht noch eine oder zwei weitere, wenig wirksame Lieder und Verse. Mein Handwerk ist das des Schmiedes, nicht das des Heilers."
"Nun, was auch immer du gewesen bist, Schmied Vanyar, nun bist du ein Heiler", erwiderte Immerschimmer mit feierlicher Stimme. "Niemand außer dir beherrscht hier diese Kunst, und in diesen dunklen Tagen mag die Gabe Linderung und Heilung zu schenken weit mehr wiegen als ein weiteres Schwert, das Tag um Tag den Tod bringt."
"Ich bin Schmied," setzte der Waldelf erneut an, zu erklären, "ich kann eure Erwartungen nicht erfüllen, sendet Boten in mein Dorf, dort werdet ihr Heiler finden, die euch zu helfen vermögen."
"Dein Dorf?" Der Zwerg sah ihn forschend an "Wo liegt dein Dorf, Elf? Ich verstehe nicht, wie ihr euch mit einer solchen Gabe versteckt halten konntet." Je mehr der Zwerg hierüber nachdachte, um so ungehaltener wurde er. "Ihr hättet so viel Leid verhindern oder verkürzen können." Nun sprich, wohin müssen wir uns wenden, um die Heiler zu finden?"
"Mein Dorf" begann Vanyar zu sprechen, "liegt in einem großen altehrwürdigen Wald." Unschlüssig spähte der Waldelf herum. "Ich..ich kann mich nicht mehr an die Lage erinnern."
"Du hältst uns zum Narren!" brauste der Zwerg nun auf und trat ihm mit hochrotem Gesicht gegenüber. "Glaube ja nicht, dass ich mich von dir hinters Licht führen lasse. Du wirst hier bleiben und tun, was in deiner Macht steht, um den Verletzten zu helfen. Und überlege genau, ob du uns nicht doch die Lage des Dorfes verraten willst. Meine Geduld hat Grenzen". Mit diesen Worten wandte sich der Zwerg um und schritt mit festen Schritten davon.
"Du kannst dich wirklich nicht erinnern?" drang nun Immerschimmer auf ihn ein. "Es wäre wirklich wichtig, wenn du uns den Weg zu den Heilern weisen könntest." Als der Elf bedrückt den Kopf schüttelte, mutmaßte der Elf mit den weißen Haaren: "Vielleicht hat dich der Pfeil am Kopf härter getroffen, als wir vermuteten. Nun, einerlei, komm, wir bringen dich zurück ins Lazarett, damit du ruhen und heilen kannst."
Mit diesen Worten half er Vanyar auf und brachte ihn zusammen mit der Menschenfrau zurück zu seinem Lager.
Dort verbrachte er die nächsten Tage damit, sich auszuruhen und ab und an die Heilmelodie zu summen. Das Lied wurde so sehr schnell zu einer festen Einrichtung innerhalb des Lazarettes. Vanyar erholte sich so zusehends und bemerkte bald, dass er nun, offensichtlich auf Weisung des Zwerges, unter ständiger Beobachtung war. Meist war Immerschimmer bei ihm, ab und an leisteten ihm aber auch die Menschenfrau Namens Mareia und der Elf mit dem Namen Seldir Gesellschaft.
Vanyar erhielt sodann von allen dreien Unterweisungen in der Kunst des Feldschers. Er erlangte Wissen über die Lage von Organen und Blutgefäßen und lernte schneller als ihm lieb war, Wunden zu nähen, Gliedmaßen zu amputieren und zu guter Letzt auch den Gnadenstich, ein schneller schmerzloser Dolchstoß, mit welchem die Feldscher das unnötige Leiden von Freund und Feind auf dem Schlachtfeld zu beenden pflegten.

Während die Wochen und Monate ins Land gingen, pflegte und verarztete der Elf so unzählige Verletzte auf die althergebrachte Art und bemühte sich zusätzlich, mit seiner wenigen Magie die vielfältigen Leiden zu lindern.
Regelmäßig wurde er auch von dem mürrischen Zwerg, Goltasch, dem Führer jener Männer auf dem Pass, besucht. Und bei jedem Zusammentreffen fragte dieser nach der Lage von Vanyars Dorf. Seltsamerweise schienen die Erinnerungen des Elfen an seine Heimat mit der Zeit immer mehr zu verblassen, so dass er sich schließlich nicht einmal mehr an andere Bewohner und Freunde zu erinnern vermochte.

Nach ungefähr vier Monaten auf dem Pass, in denen kaum ein Tag ohne Angriff durch die Schergen der Finsternis verging, änderte sich alles. Vanyar war gerade dabei, die Verbände eines verletzten Menschen zu wechseln, als Mareia aufgelöst ins schummrig beleuchtete Zelt stürmte.

"Vanyar, schnell, sie haben Immerschimmer erwischt." Tränen rannen der Frau über die Wangen, während sie an dem Elfen zerrte. "Du musst ihm helfen, sonst stirbt er, schnell."
Zusammen stürzten sie aus dem Zelt und der Elf wurde an den Rand der Palisaden geführt. Dort, zwischen zwei Zelten, waren Felsfindlinge eingeschlagen. Offensichtlich hatte der Feind Kreaturen an den Pass herangeführt, die es vermochten, diese schweren Felsen gegen das Lager zu schleudern. Inmitten des dort angerichteten Chaos von eingestürzten Zelten und zersplitterten Palisaden lag der Mondkobold, halb von einem Felsen begraben.
Sein linkes Bein ragte in einem seltsamen Winkel unter dem Fels hervor und während fast der gesamte Körper von dem Fels begraben war, konnte Vanyar den kleinen Kopf seines Freundes im Dreck liegen sehen.
Die Atmung von Immerschimmer war flach und stoßweise, sein Gesicht war noch weißer als sonst, und als Vanyar den Fels von ihm herunterrollte konnte er zwei Rippen sehen, die seitlich aus der Brust des Kobolds ragten. Der Kobold starrte Vanyar mit seinen unergründlich schwarzen Augen an und flehte stumm um Erlösung. So zog der Elf instinktiv den Dolch und wollte seinem Lehrer den Gnadenstich geben. Mareia aber stürzte hinzu und warf sich schützend über den Kobold, der daraufhin leise aufstöhnte.
"Vanyar, nicht das! Du darfst nicht aufgeben! Nutz deine mächtige Magie!" schrie sie verzweifelt mit rot verquollenen Augen. "Ich weiß, dass du das kannst! Bitte versuch ihn zu heilen."
Während Vanyar seinen Dolch fast widerwillig wegsteckte und dann die zitternde Frau von dem Kobold herunterhob, kamen immer mehr Krieger, Schützen und auch andere Heiler heran und bildeten eine Traube um ihn und den inzwischen bewusstlos gewordenen Kobold "Ihr verlangt zu viel", rief Vanyar leise, während er den zermalmten Körper von Immerschimmer betrachtete. Heiße Tränen rannen nun auch über sein Gesicht. "Wie soll ich eine solche Verletzung heilen? Wie?"
Von hinten trat eine stämmige Person, Goltasch, an ihn heran und legte eine Hand auf seine Schulter. "Versuch es".
So begann Vanyar entgegen jeder Vernunft den zerschundenen Körper des Kobolds intensiv zu untersuchen. Es war kaum ein Knochen in seinem Oberkörper ganz geblieben. Also begann er damit, so wie er gelernt hatte, die Knochen, die er spüren konnte, an ihren Platz zurückzuschieben und zu drücken. Unter Tränen schob er alsdann die beiden Rippenbögen zurück in die Brust des Kobolds, was dieser trotz seiner tiefen Bewustlosigkeit mit einem lauten Aufschrei begleitete. Knochen rieben in der Brust des Kobolds krachend aneinander, während immer mehr Blut durch die zahlreichen Wunden aus dem kleinen Körper herausfloss. Schließlich dann, gerade als Vanyar begann, ein klein wenig Hoffnung zu schöpfen, setzte mit einem leisen Seufzer die Atmung des Kobolds aus.
"Nein!" halb verzweifelt und halb wütend hieb Vanyar mit beiden Fäusten auf die Brust des Kobolds ein, was diese mit einem lauten Knirschen quittierte. Er betrachtete durch tränenverschleierte Augen ein letztes Mal den Körper von Immerschimmer, da bemerkte er schwach glimmende Fasern, welche von der Brust des sterbenden Kobolds ausgingen und in des Elfen Händen endeten.
Instinktiv begann der Waldelf damit, die vielen losen Enden dieser immer schwächer glimmenden Fasern zu verbinden und, wo es nötig war, auch zu verknoten. Hierbei überkamen ihn wohlige Schauer, als er zum ersten Male das fremde Leben in seinen Händen hielt. Er handelte wie in Trance und fügte Strang um Strang neu zusammen. Es schien fast, als griffen seine Hände in die Brust des Kobolds hinein, um immer weitere Stränge zu ergreifen und zu verbinden. Schließlich, nach einer schier nicht enden wollenden Anzahl von Stunden fügte Vanyar die beiden letzten lose verbliebenen Enden zuammen. Dann sah er erschöpft und am ganzen Körper zitternd auf.
Die ihn umringenden Menschen, Elfen, Zwerge und Kobolde starrten gebannt auf ihn und den immer noch reglos da liegenden Immerschimmer, der nun, äußerlich unverletzt, tief und fest zu schlafen schien. Die Rippenbögen des Kobolds waren wieder an ihrem Platz und dessen Oberkörper zeigte eine für Mondkobolde uncharakteristische rötliche Färbung.
"Was hast du getan?" hauchte Mareia, die ihre Augen nicht vom dem Kobold abwenden konnte. "Wie konntest du dies vollbringen?" Vanyar schloss zu Tode erschöpft die Augen. "Ich weiß es nicht", drang es über seine Lippen. "Ich konnte mit einem Male diese vielen Fäden und Fasern sehen und es erschien mir richtig, sie zu verbinden, zu verknüpfen und zusammenzufügen."
"Du hast ihn geheilt." Goltasch starrte immer noch fassungslos auf die Szenerie.
"Das wird die Zeit weisen", erwiderte Vanyar müde und versuchte erfolglos sich zu erheben. Seine Beine wollten ihn nicht tragen. Zu erschöpft, um sich zu sammeln oder andere um Hilfe zu bitten, legte er sich kurzerhand neben Immerschimmer auf die matschige Erde und schloss die Augen. Einen Wimpernschlag später war der Elf fest eingeschlafen.

Vanyar erwachte erst tags darauf. Er lag auf seinem Lager im großen Gemeinschaftszelt der Heiler. Und Immerschimmer lag noch immer an seiner Seite. Offensichtlich hatte man nicht gewagt, die beiden von einander zu trennen. Sie waren allein.
Leise stöhnend erhob sich der Waldelf. Ihm tat jeder Knochen und jeder Muskel im Körper weh. Es war, als hätte er den größten Muskelkater, den es je geben wird, zusammen mit dem gigantischsten Kater, den Elfen in der Lage waren zu erleiden. Er fühlte sich einfach schlecht und elend. Einzig der Blick auf seinen nun ruhig schlafenden Freund vermochte es, ihn ein wenig über die Qualen hinweg zu trösten.
Es dauerte mehrere Stunden bis Vanyar es schließlich über sich brachte, langsam aufzustehen. Er schaffte es, die wenigen Schritte bis zu einem Stuhl zu überwinden, der an einem großen Tisch stand. Dort zwang er sich, ein wenig zu essen und zu trinken.
Dann versuchte er sich zu erinnern, was er tags zuvor vollbracht hatte, und vor allem, wie er es getan hatte.
"Es war fast wie das Schmieden und Treiben von Metall", murmelte er leise. "Sowohl grobes Zurechtbiegen, als auch filigranes Verbinden und Zusammenfügen."

Feste Schritte näherten sich dem Zelt und rissen Vanyar aus seinen Gedanken. Goltasch betrat zusammen mit Mareia das Zelt. Als sie Vanyar am Tisch sitzen sahen, blickten sie einander verwundert an. Schießlich aber setzten sie sich zu ihm und warteten schweigend, bis der Elf schließlich das Wort an sie richtete.
"Ich weiß, ihr glaubt, ich würde die Lage meines Dorfes vor euch verbergen," begann er, "laßt mich versichern, dass ich es wirklich nicht weiß. Ich bin nicht einmal mehr sicher, ob es jenes Dorf überhaupt je gab."
"Das ist nicht mehr wichtig," entgegnete der Zwerg. "Nicht nach dem, was du gestern vollbracht hast."
Goltasch behandelte ihn mit so offensichtlicher Hochachtung, dass Vanyar fast peinlich berührt war. Er wagte es kaum, dem Elfen ins Gesicht zu schauen.
"Es war ...anstrengend und kräfteraubend", erklärte Vanyar seinem Gegenüber. "Auch wenn ihr wohl recht hattet mit eurer Vermutung, ich hätte die Gabe des Heilens, so kann ich derlei nicht noch einmal vollbringen. Ich habe das Gefühl, etwas Unrechtes getan zu haben."
"Aber du hast ihn doch vor dem sicheren Tod bewahrt", rief Mareia erstaunt. "Was kann daran unrecht sein, Leben zu retten?"
"Sich in den Lauf der Natur zu mischen ist gefährlich und verkehrt oft gute Absicht ins Gegenteil", erwiderte Vanyar.
"Nun, du hast jedenfalls bewiesen, dass du zu Dingen fähig bist, die kein anderer von uns vollbringen kann", brummte der Zwerg in seinen Bart. "Auch wenn ich immer noch nicht verstehe, wie du in die Brust des Kobolds greifen konntest, ohne ihn zu verletzen."
"Ruh dich nur aus," fuhr Goltasch fort, "wir werden uns ein andermal weiter unterhalten."
Nach diesen Worten erhoben sich beide und wandten sich zum Gehen.
Wieder allein mit dem schlafenden Immerschimmer und seinen verworrenen Gedanken sank Vanyar nach vorn über und schlief am Tisch erneut ein.

Der Waldelf erholte sich nur langsam von der Heilung oder dem Seelenschmieden, wie er es selbst nannte. Es schien, als kehrte seine Kraft nur widerwillig in seinen Körper zurück. Am Zustand des Kobolds indes änderte sich nichts. Immerschimmer lag wochenlang tief schlafend auf seinem Lager und strafte jene, die seine Genesung verkündet hatten, Lügen.

Vanyar versuchte in dieser Zeit noch einige Male, dem Kobold zu helfen, doch das von ihm verursachte Knäuel von Lebenssträngen ließ sich nicht mehr lösen. Der Waldelf hatte den Kobold in seinen Körper gesperrt, aus dem es für die Seele des kleinen Wesens nun kein Entrinnen mehr gab. So lag Immerschimmer da, gefangen zwischen Leben und Tod, und je länger Vanyar sich mühte zu helfen, um so klarer wurden ihm seine Fehler.
Er hatte in seiner Verzweiflung willkürlich Fäden aneinandergeschmiedet und so den Fluss des Lebens erhalten können. Doch es war kein natürlicher, beständiger Fluss, sondern ein welkes Dahindümpeln von seichten Resten blassen Lebens.
Von Schuldgefühlen und Scham geplagt, suchte Vanyar das Gespräch mit Goltasch. Er fand ihn in seinem Zelt, über Landkarten und Berichte gebeugt.
"Ob du wohl etwas Zeit für mich erübrigen könntest?"
"Natürlich, nur herein Vanyar Seelenschmied!" Die Miene des Zwerges war seltsam angespannt und erschien dem Elfen mit einem Male sehr weise.
"Es geht um Immerschimmer", begann er, "ich glaube nicht, dass er je wieder erwachen wird. Ich habe großes Unrecht an ihm begangen, indem ich ihm die Möglichkeit nahm, in Frieden zu gehen".
Der Zwerg legte die Berichte zur Seite und betrachtete Vanyar nachdenklich, während dieser sich all seine Schuld von der Seele redete. Er beschrieb zum ersten Mal einem anderen seine Wahrnehmung der Dinge.
Er verschwieg weder die angenehmen Schauer, die ihn durchflossen, wenn er mit den Strängen des Lebens in Verbindung kam, noch die kurzen Eindrücke berauschend scheinender Macht, wenn er fremdes Leben in den Händen hielt.
Goltasch seufzte tief, als Vanyar schließlich schwieg. "Ich war mir natürlich nicht sicher, aber ich habe mir Ähnliches schon gedacht. Und du meinst wirklich, es gibt keinerlei Aussicht darauf, dass er je wieder erwacht?"
"Ich glaube nicht, dass die in ihm eingeschlossene Kraft hierfür ausreicht", entgegnete Vanyar. "Ich glaube im Gegenteil, dass er langsam, kaum merklich dahinsiechen wird. Das Leben wird über kurz oder lang einen Weg aus dem Körper herausfinden. Aber in der Zwischenzeit wird Immerschimmer leiden, davon bin ich nun überzeugt."
"Und was sollen wir deiner Meinung nach tun?" Der Zwerg starrte in schrecklicher Voraussicht auf den Elfen "Ich denke, du weißt, was ich tun sollte", erklärte Vanyar. "Ich muß das von mir zusammengeschmiedete Knäuel auflösen und somit dem Kobold erlauben, in Frieden aus dieser Welt zu scheiden."
"Eine schwere Wahl, den gerettet geglaubten Freund töten zu müssen", murmelte Goltsch mehr zu sich selbst als zu Vanyar, während er an diesem vorbei ins Leere blickte. "Tu, was du tun musst, aber ich rate dir, nimm keinen Dolch, die Leute würden es nicht verstehen".
Vanyar nickte stumm und erhob sich. Die schmerzerfüllten Blicke von Zwerg und Elf trafen sich abermals, dann trennten sie sich.
Der Elf wandte sich nun direkt zum Zelt der Heiler. Als er hineinging, wurde der schlafende Kobold eben von Mareia liebevoll umsorgt und gefüttert. Gerade für die Menschenfrau würde es schwer werden, da sie dem Kobold in inniger Liebe zugetan war.
Vanyar begrüßte Mareia kurz und beschäftigte sich dann mit seinen wenigen Habseligkeiten in einer Ecke des Zelts. Erst als die Frau schließlich gegangen war, erhob er sich und ging langsam zu dem Kobold hin. Dem Elfen schien es, als würde er erwartet, auch wenn er dieses Geühl an nichts festmachen konnte. Er kniete sich neben das Lager des Kobolds und begann vorsichtig, fast zärtlich damit, einen Faden nach dem anderen aus dem Knäuel in der Brust von Immerschimmer herauszuziehen. Und mit jedem Faden floss ein wenig mehr Lebenskraft aus dem kleinen Körper heraus. Als er schließlich den letzten verbliebenen Faden durchtrennte, seufzte der Kobold ein letztes Mal auf und verschied dann sanft, ohne sein Bewustsein noch einmal wiedererlangt zu haben. Vanyar verabschiedete sich lautlos und von Trauer überwältigt von seinem Freund und Lehrmeister und verließ dann das Zelt.

Man fand den Leichnam des Koboldes erst einige Stunden, nachdem Vanyar gegangen war. So endete die Geschichte von der wundersamen Rettung eines Kobolds unter viel Anteilnahme und Tränen mit dem Tod desselben.
Vanyar hatte sich nach diesem Erlebnis gründlich verändert. Er mied die Gesellschaft anderer und auch wenn er durch seine Gabe manch Verletzung heilen und manch Gebrechen lindern konnte, so blieb in ihm immer ein letzter Rest Unsicherheit und Zweifel ob seines Tuns.

Die Jahre gingen ins Land, der Krieg wurde zur Normalität und das Schlachtenglück änderte sich wie das Wetter fast täglich. Längst hatte der Waldelf den Pass verlassen und war in das große Heerlager zurückgekehrt. Dort hatte er seine Studien über seine neue Gabe weiter fortgeführt und verfeinert. Dennoch bestand Vanyar darauf, wie alle anderen Feldscher behandelt und eingeteilt zu werden.
Ihm schien es angemessen, fast einer Buße gleich zu setzen, wenn er zusammen mit anderen Leichen begrub oder zu einem Scheiterhaufen aufschlichtete. Hier lagen Freund und Feind vereinigt Leib an Leib. Der Tod behandelte sie alle gleich und die Seuchengefahr gebot die Bestattung aller Toten.
Eine Arbeit jedoch wurde nach der Schlacht stets von Vanyar erledigt. Messer- oder Gnadendienst wurde es genannt, wenn sich die Feldscher der verfeindeten Lager auf dem Schlachtfeld trafen, um die zu suchen, deren Verletzungen geheilt werden konnten. Jene wurden auf Karren geladen und eilends in die Lazarette gebracht.
Doch es gab auch andere, jene, deren Verletzungen zu schwer oder deren Zustand zu schlimm war. Diesen Unglücklichen wurde dann die Gnade des letzten Stichs, gesetzt durch einen Feldscher zuteil, um dessen Leid nicht mehr als nötig auszudehnen.
Diesen Dienst hatte Vanyar übernommen. Er konnte zwischenzeitlich anhand der Lebensfäden sehen, wie es um die Verletzten bestellt war, oder schlicht, in welchen Körpern noch ein wenig Leben vorhanden war.
So ging er nach jedem Tag auf das Schlachtfeld und erlöste Freund und Feind von Schmerz und Leid. Er tat dies in stillem Gedenken an seinen Freund Immerschimmer, an dessen Grab er geschworen hatte, nie mehr sinnloses Leid zuzulassen.
So ging er leise und langsam durch die Reihen der Gefallenen und durchtrennte dort, wo es nötig war, die Fäden des Lebens. Ab und zu wurde er bemerkt, oft willkommen geheißen und selten abgelehnt. Mitunter sprach er ein paar beruhigende Worte zu dem Sterbenden, ehe er ihn erlöste, oder hielt einfach nur still dessen Hand.

Während eines solchen Gnadengangs hatte Vanyar mit einem Male das Gefühl, er würde beobachtet. Doch wohin er sich auch wandte, er konnte rings um sich herum nur den Tod sehen.
"Vanyar, endlich hab ich dich gefunden" hallte es in seinem Kopf.
Wieder sah Vanyar sich um.
"Komm nach Hause, du warst schon viel zu lange Zeit hier drin", fuhr die unbekannte Stimme fort.
"Wer ist da? entfuhr es dem Waldelfen. "Wohin soll ich gehen?" Vor dem Elfen erschien eine seltsame, koboldartige Gestalt in übernatürlich funkelnder Rüstung. Vanyar erschien dies unangemessen, auch wenn ihm die Gestalt seltsam vertraut vorkam.
"Hattest du nicht versprochen, eine Randnotiz zu bleiben?"schnauzte ihn der Kobold an. "Du hättest getötet werden können."
"Es ist Krieg," entgegnete Vanyar, "hier ist der Tod allgegenwärtig."
Der Elf wies mit seiner rechten Hand über das Schlachtfeld.
"Ja, ein gruseliger Ort, können wir jetzt gehen? Du hattest versprochen, auf dem Hügel zu warten." zeterte der Kobold weiter. "Weißt du eigentlich, wieviele Seiten ich durchforsten mußte, bis ich dich endlich gefunden habe?"
"Seiten? Gefunden?" Warum hast du mich denn gesucht, kleiner Freund?"
"Kleiner Freund? Komm mir nicht so... willst du mir tatsächlich sagen, du hättest alles vergessen?" In die Augen des gerüsteten Kobolds trat Erkennen.
"Du hast es tatsächlich vergessen!" schrie sie. "Du hast dich verloren in einem Buch. Vanyar, ich bitte dich komm zu dir." Zur Verwunderung des Elfen begann der Kobold nun zu wachsen, bis er ebenso groß wie er war.
"Du bist in einem Buch, Vanyar, erinnerst du dich nicht mehr?" Sanft rüttelte sie an dessen Schultern. "Du wirst zuhause gebraucht, deine Frau und dein Sohn, deine Freunde brauchen dich".
Langsam, sehr langsam kehrte die Erinnerung zurück. "Keo" entfuhr es dem Elfen "Und Falk .."
"Ja," nickte der Kobold eifrig, "das ist deine Familie!"
"Dich kenne ich auch...du bist....Younani...stimmt's?"
Der Kobold lächelte. "Na, das ist ja gerade nochmal gut gegangen. Nun lass uns zurückkehren. Du warst schon viel zulange hier."
Der Waldelf nickte. "Einen Moment noch". Er ging zielstrebig über das Schlachtfeld zu einem jungen Menschenmann, der ihn mit großen Augen anstarrte und dabei stoßweise atmete. Aus der Brust des Mannes ragten insgesamt zwei Lanzen und zwei Pfeile.
"Hilf mir!" hauchte der Mensch und krallte sich an der dargebotenen Hand des Elfen fest.
Vanyar nickte, während Younani langsam hinzukam. "Ich werde dir deine Schmerzen nehmen." Mit diesen Worten faßte er in die Brust des Mannes und durchtrennte die letzten verbliebenen Lebensstränge.
Der Bibliotheskobold schluckte schwer. "Komm, Vanyar, für dich ist es wahrlich an der Zeit, nach Hause zu gehen." Dieser schloss noch mit einer kurzen Handbewegung die Augen des soeben Verstorbenen und faßte dann den Kobold an der Hand.
"Ja, lass uns nach Hause zurückkehren".
Obwohl Younani sich mehrfach anbot, konnte Vanyar nicht mit ihr über das Erlebte sprechen. Er suchte nach Ruhe, mußte über das, was geschehen war, nachdenken und ging daher zurück in seine heimatlichen Wälder.
Erst Wochen später kehrte er nach Titania zurück und begann unter Younanis kritischem Blick in der Bibliothek von Titania mit dem Studium der Heilkunst.


Botschafter
Es war nicht einfach gewesen, eine Kriegerin wie Kirtara und einen Krieger wie Ehlo in die große Bibliothek in Titania zu bringen. Gebäude an sich schienen den beiden Bahuuni Unbehagen zu bereiten. Die großen Hallen des Wissens, vollgestopft mit Büchern, Rollen und anderem Schriftgut verstärkten diesen Effekt wohl noch zusätzlich.

Die Toku schienen insgesamt nicht viel von Häusern oder Befestigungen zu halten. So sparte Kirtara auch nicht mit Kritik, seitdem sie zusammen mit ihrem Widersacher Ehlo in Titania eingetroffen war. Man konnte den beiden praktisch nichts recht machen. Schon fast abwechselnd stellten die beiden mehrmals täglich fest, dass Titania erbärmlich befestigt war und die Stämme der Toku das Reich der Naturgeister jederzeit besetzen konnten. Eine Diskussion über Sinn und Unsinn einer solchen Aktion gaben die verschiedensten Naturgeister bald auf, da es den beiden lediglich wichtig zu sein schien, eben diese Tatsache festzustellen. Daher einigten sich die Naturgeister stillschweigend darauf, die Bahuuni gewähren zu lassen, um so einen Teil ihrer Ruhe zurück zu gewinnen.

So gesehen war es fast ein Segen, dass die beiden Krieger aus dem Gefolge des San fast ihre gesamte Zeit damit zubrachten, sie gegenseitig zu beschimpfen, zu bedrohen und zu bekämpfen. Unglücklich war dann nur derjenige, der das Pech hatte, die Aufmerksamkeit der beiden Streithähne auf sich zu ziehen.

Vanyar hatte in den letzten Wochen gelernt, die beiden mit ihren fruchtlosen Wortgefechten zu ignorieren, und schenkte ihren Bemerkungen nur wenig Gewicht, während sie verbal aufeinander einschlugen. Dennoch wurde der von so vielen hoch geschätzte Friede in Titania doch nachhaltig gestört, wenn beide Gefechte auf dem Marktplatz ausfochten, Wetttrinken in den örtlichen Herbergen veranstalteten oder mit diversen Wettrennen zu Pferde manche Feenwiese in hellem Aufruhr zurück ließen.

Daher hatte der Waldelf entschlossen, am heutigen Tage zusammen mit seiner Freundin Younani ein Experiment, welches sie schon vor längerer Zeit besprochen hatten, zu wagen. Die beiden hochverehrten Botschafter der Stämme der Toku waren schlicht nicht ausgelastet und der allgegenwärtige Friede zehrte offensichtlich stark an ihren Nerven.
Demnach hatte Vanyar mit Hilfe des Bücherkobolds Bücher über die Schlachten am Rande der Finsternis in der Bibliothek aufgespürt. Und heute sollten die Toku zeigen, wovon sie seit Wochen sprachen. Sie sollten kämpfen, wie es ihr Wunsch war.
Der Waldelf selbst hatte vor Jahr und Tag am eigenen Leib verspürt, wie real und schmerzlich realistisch eine Reise in jene Bücher sein konnte. Seinerzeit hatte ihn nur das beherzte und mutige Eingreifen seiner Freundin Younani gerettet, die ihm nach vielen Wirrungen und Irrungen den Weg zurück aus dem Buch weisen konnte. Endgültig verdaut hatte Vanyar die vielen Erfahrungen noch nicht, dennoch wollte er nicht einen Tag dieser scheinbaren Reise in die Fantasie und die Historie missen.

"So viele unnütze Bücher, könnt ihr euch nichts merken, dass ihr alles auf dieses Papier schreiben müsst?" Kirtara rümpfte geringschätzig die Nase. "So ein Haus mitten in der Stadt ist eine Dummheit, wie sie zu euch Naturgeistern passt. Jeder halbwegs begabte Krieger würde hier sofort Feuer legen und so die ganze Stadt in Schutt und Asche legen", zeterte die streitbare Kriegerin weiter.
Ehlo war offensichtlich nicht ganz sicher, ob er seiner Lieblingsfeindin nun Recht geben sollte oder nicht. So beschränkte er sich zunächst darauf, ein finsteres Gesicht zur Schau zu stellen und ab und zu mürrisch zu knurren.
"Habt doch bitte noch etwas Geduld, ihr werdet, wie ich es versprochen habe, zu eueren Kämpfen kommen". Vanyar seufzte vernehmlich und führte die beiden Krieger weiter hinein in das Labyrinth aus Räumen, Treppen und Regalen. Der Weg führte weiter in die Gewölbe unter die Stadt. Trotz der großzügigen, aufwändig gearbeiteten und hell erleuchteten Stollen fühlten sich hier nicht nur die beiden Botschafter sichtlich unwohl. Auch Vanyar hatte mit den stark beengten Verhältnissen zu kämpfen.
"Wohin gehen wir? Ins Herz der Erde?" Kirtara gestattete sich ein nervöses Lachen, welches sofort von den Wänden zurückgetragen wurde und nur allmählich verklang.
"Wenn der San wüsste, was für ein Angsthase du bist, würde er dir endlich dein Kommando entziehen und dich nackt in die Steppe jagen lassen." Ehlo bedachte Kirtara mit einem Blick voller Abscheu. Dann straffte er sich und schritt aufrecht hinter Vanyar her.
"Männer!" brummte Kirtara geringschätzig und schritt offensichtlich verärgert hinterher. "Du wirst dich für deine Frechheiten noch zu verantworten haben."
"Das kannst du sofort haben!" Ehlo fasste an sein Schwert.
"Bitte, hört auf damit", bat Vanyar. "Wir werden das Portal gleich erreichen, dann habt ihr mehr Platz und könnt euch bekämpfen, so viel und so oft ihr wollt."
"Das wird nicht lange dauern", brummte Kirtara und steckte einen versteckt gezogenen Dolch wieder weg, während Ehlo seine Hand von seiner Waffe nahm.
Der Stollen endete in einem kleinen Raum. Das Zimmer wurde von einem großen wuchtigen Steintisch dominiert, der mitten im Raum stand. An der gegenüberliegenden Wand befand sich ein altes Holzregal mit einigen offensichtlich alten Folianten. Hinter dem Tisch auf einem Stuhl, welcher durch einen Stapel Bücher etwas erhöht worden war, saß Younani und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Tischplatte.
"Ah, da seid ihr ja endlich", begrüßte sie ihre drei Gäste. "Wie Vanyar euch bestimmt schon erklärt hat, werdet ihr heute an der berühmten Schlacht der tausend Messer in der Ebene von Qui Derbaral teilnehmen können".
Die beiden Botschafter sahen sich unbehaglich, aber auch verwundert um.
"Wo ist dieses Tor?" fuhr Ehlo den Bibliothekskobold an. "Wenn das einer dieser Naturgeisterscherze ist, kann ich euch versprechen, dass ich ihn nicht komisch finde."
"Ja, ich denke, ihr werdet eine Lektion erhalten", stimmte Kirtara grimmig ein.
"Nun ist es aber genug. Ich fühle mich unter der Erde auch nicht wohl, aber das ist kein Grund derart unhöflich zu sein." Vanyar verlor so ganz allmählich seine Geduld mit den beide Bahuuni.
"Younani, bevor die beiden hochverehrten Botschafter sich weiter ereifern und in sinnlosen Drohungen ergehen, beginne bitte. Ich werde ihnen dann alles erklären".
Der Kobold schaute Vanyar zweifelnd an. "Bist du sicher? Sie scheinen mir zu unreif für eine solche Erfahrung zu sein."
"WAS?" Ehlo blickte wütend auf den Kobold, während Kirtara offensichtlich nicht ganz glaubte, was sie soeben gehört hatte.
Younani ignorierte die beiden vollkommen. "Sie sollen sich an den Händen halten und jeweils eine Hand in die deine legen. Kannst du ihnen das bitte begreiflich machen?"

Noch bevor die beiden Krieger sich besinnen konnten, fasste Vanyar Ehlo mit der linken und Kirtara mit der rechten Hand. Anschließend forderte er sie mit knappen Worten auf, den Anweisungen des Kobolds Folge zu leisten. So schloss sich der Kreis. Younani legte nun einen offenen Folianten zwischen die drei und kletterte dann geschickt auf Vanyars Schulter.
"So, schließt die Augen und denkt an nichts. Das dürfte euch ja nicht besonders schwer fallen." Der Kobold musste ob der nun doch etwas nervös wirkenden Botschafter etwas grinsen. Dann konzentrierte sich der Bibliothekskobold. Nebel wallten in dem Raum auf und drehten sich um die Gruppe und das aufgeschlagene Buch. Der Wirbel wurde immer schneller und dichter.
Als der Nebel sich schließlich lichtete, lag nur noch der große vergilbte Foliant am Boden. Die beiden Botschafter, der Waldelf und der Kobold waren verschwunden.

Die beiden Toku sahen sich überrascht um. Alles hatte sich schlagartig verändert. Aus dem bedrückend wirkenden Gewölbe unter der Bibliothek waren sie auf eine von Bodennebel umwaberte Anhöhe gelangt. Kalter Regen prasselte auf die Gruppe herab und ein schneidend kalter Wind trieb innerhalb von Minuten die Wärme aus den Kleidern.
Kirtara sah sich mißtrauisch um. Dabei hatte sie stets eine Hand an ihrer Hauptwaffe, stets bereit diese zu ziehen und etwaige Feinde in Stücke zu hacken.
"Und das hier ist alles Magie? Wir sind wirklich in diesem alten Papierfetzen?"
"Es heißt Buch", erklärte Younani mit betontem Gleichmut in der Stimme, um sich dann an Vanyar zu wenden.
"Ich werde in eurer Nähe bleiben und auf euch aufpassen. Wenn ihr Hilfe braucht oder etwas Unvorhergesehenes passiert, ruf mich, hörst du?"
Vanyar nickte stumm und wandte sich den beiden Toku zu. "Wir werden dem Wildpfad folgen und in die Senke hinab gehen."
Ehlo faßte seinen Speer ein wenig fester und straffte sich. "Worauf warten wir noch? Ich will endlich diese angebliche Schlacht sehen. Mein Speer sehnt sich nach Blut."
"Schwätzer!" Kirtara zog ihren Säbel und schritt, für Freund und Feind nicht zu übersehen, den Pfad hinunter.
Der soeben geschmähte Tok murmelte noch kurz etwas Unverständliches vor sich hin und eilte dann der vorauslaufenden Kriegerin hinterher.
Vanyar war ob des plötzlichen Aufbruchs etwas überrascht. "Younani, ich hoffe, wir werden dich nicht all zu oft brauchen!" rief er und lief hinter den beiden Toku die Anhöhe hinunter.

Das ungleiche Trio durchschritt die von Dunst und Nebel umwaberte Senke. Hierbei verursachten sie, zumindest für Vanyars Dafürhalten, einen unglaublichen Lärm, während sie durch die aufgeweichte, geschundene Erde stapften und, zumindest kam es dem Elf so vor, in wirklich jede Pfütze traten, die sich in erreichbarer Nähe befand. Als er sich erlaubte, darauf hinzuweisen, dass es im Unterholz deutlich angenehmer wäre zu laufen und zudem auch noch der Vorteil bestünde, dass man vielleicht unbemerkt zu dem Schlachtfeld kommen könnte, wurde er von Kirtara ungehalten zurechtgewiesen.
"Ich verstecke mich nicht. Nur Feiglinge schleichen sich an den Feind heran, nicht wahr, Ehlo?
"Sei still, Weib," schnauzte dieser, "wenn dein Säbel nur hab so gefährlich wäre wie dein Mundwerk, hätte der San wohl mehr Sorge, wenn er dich in seine Jurte holt."

Die tokalische Kriegerin knurrte vernehmlich, nachdem Ehlo jene Beleidigung ausgestoßen hatte, und wollte sich gerade ihrem ewigen Widersacher zuwenden, da brachen fünf echsenartige Kreaturen aus dem Unterholz. Ihre Gliedmaßen waren ebenso wie ihr restlicher Körper mit dicken Hornschuppen besetzt. Jedes der Wesen war zusätzlich in Fell- und Lederfetzen und, so schien es, erbeutete Rüstungsteile der verschiedensten Macharten gekleidet. Bewaffnet waren die Kreaturen, die sofort auf die beiden Menschen und den Elfen eindrangen, mit langen Stangen, welche an beiden Enden entweder in Klingen, Haken oder Spitzen aus rostigem Eisen endeten.

Ehlo faßte sich am schnellsten. Er schleuderte kurzerhand seinen griffbereiten Speer nach dem ersten Angreifer. Die geschmiedete Spitze drang mit einem scheußlichen Knacken und Krachen durch die Rüstung der Echse und verschwand bis zum Heft in deren Brust. Durch die Wucht des Aufpralls wurde der tödlich Getroffene noch einige Meter zurückgeschleudert und prallte gegen eine weitere Echse, die ebenfalls auf Ehlo zustürmen wollte. Beide Kreaturen fielen ächzend zu Boden. Doch während der Verwundete liegen blieb, rappelte sich die zweite Echse überraschend flink wieder auf die Füße. Hierbei ließ sie ihr Ziel, Ehlo, nicht aus den Augen.

Kirtara hatte sich zwischenzeitlich mit einem lauten Aufschrei in die Reihen der restlichen Echsen gestürzt. Mit Säbel und Dolch vollführte sie einen tödlichen Tanz und brachte so einen schnelles Ende für zwei weitere Angreifer. Der dritten Echse trennte sie eine Klaue ab, woraufhin diese laut zischend in den angrenzenden Wald floh. Kirtara, die dies bemerkte, stürzte sofort hinter dem Fliehenden her, bis dieser plötzlich, keine 10 Schritt vor ihr, strauchelte und zu Boden fiel. Als die Kriegerin ihr drittes Oper ereichte, lag dieser, mit einem langen Pfeil im Rücken, reglos auf dem Boden.
Sicherheitshalber, so wollte es scheinen, stieß sie dem Wesen trotzdem noch den Säbel durch den Körper, dann wandte sie sich ab und eilte zurück auf den Pfad.
Dort fand sie Ehlo, der soeben, über dem fünften Angreifer stehend, sein Schwert wegsteckte. Das grünliche Blut, das noch von der Klinge tropfte, schien ihn hierbei nicht sonderlich zu interessieren.
"Keine große Herausforderung", brummte er, während er zu seinem ersten Opfer hinüber ging und sich seinen Speer zurückholte.
Vanyar hatte unterdessen seinen Bogen wieder auf seinem Rücken verstaut und steckte drei Pfeile, welche vor ihm im Boden steckten, zurück ein einen kleinen Köcher.
"Es war mein Feind, Vanyar!," knurrte Kirtara den Elf an, "Ich brauche keine Hilfe, merk dir das."
Der Waldelf hielt es für besser zu schweigen und nickte bloß.
"Der hier ist zäh, der lebt noch", wunderte sich Ehlo, der immer noch bei der Echse stand, die er mit dem Speer erlegt hatte. Schulterzuckend wandte sich der Krieger ab und ließ das sterbende Wesen hinter sich.
Vanyar wiederum betrachtete den tödlich Verwundeten kurz, um dann wortlos zu diesem hinüberzugehen. Dort kniete sich der Elf neben dem Körper auf die blutbesudelte Erde und sprach, für die beiden Menschen kaum hörbar, einige Worte in elfischer Sprache zu dem Wesen. Dann legte er diesem beide Hände auf die Brust. Einen Lidschlag später war die Echse gestorben.
"Was hast du da gemacht?" verlangte Kirtara zu wissen.
"Nichts, nur ein wenig Trost gespendet und den Abschied erleichtert", erwiderte der Elf. "Es bestand kein Grund, das Wesen unnötig leiden zu lassen."
"Mir doch egal," brummte Ehlo, "wohin jetzt?"

In diesem Augenblick tauchte am Wegesrand eine junge, nur spärlich in Fellreste gekleidete Frau mit seltsam kupfern schimmernder Haut auf. Die Frau, die Vanyar eigenartig bekannt vorkam, betrachtete das Trio kurz, um dann zu winken, als wollte sie diese auffordern, ihr zu folgen.
Ehlo hatte instinktiv den Speer gehoben. Doch ehe er zielen oder gar werfen konnte, war die Frau im Unterholz zwischen Büschen und Sträuchern verschwunden.

"Was war denn das?" wunderte sich Vanyar. "Scheinbar wollte sie, dass wir ihr folgen."
"Na das kann sie haben", blaffte Kirtara und zog erneut ihren Säbel. So drangen die drei in das Unterholz rechts des Weges ein und folgten einer wirklich kaum übersehbaren Spur quer durch den Wald. Nach gut 2 Stunden Wegstrecke traten sie aus dem Wald und sahen einen steil abfallenden Hügel hinunter in ein versteckt liegendes Tal. Dort war alles über und über mit Zelten, Feuerstellen, windschiefen Hütten und Tierpferchen übersäht. Alle Bäume, die sich ehemals im den Tal befanden hatten, waren abgeholzt worden.
"Ah, da seid ihr ja!" wurden sie in diesem Moment aus einem Baum heraus begrüßt. Oben in der Krone einer mächtigen Eiche hatte man eine Plattform errichtet, auf der, soweit man von unten sehen konnte, drei Wachen ihren Dienst taten.
"Geht ruhig hinunter ins Lager, ist bald Essenszeit," tönte es weiter. "Und vergeßt nicht, euch beim Kommandanten zu melden. Ulrav mag keine Überraschungen."
Vanyar überspielte seine Überraschung, indem er kurz nach oben zu dem Unterstand winkte und dann seine beiden Begleiter den Hang hinunter führte. Der Pfad ins Lager war steil und steinig und mehr als einmal rutschten sie aus und zerschrammten sich an den scharfkantigen Felsen.
"Ich weiß schon, warum ich keine Berge mag!" hörte der Elf Ehlo schimpfen, während Kirtara stumm und konzentriert dem Weg hinunter folgte.

Am Fuß des Tales angekommen gingen sie, knöcheltiefen Schlamm durchschreitend, in die Mitte des Lagers. Dort, vor einem großen Unterstand aus Holz und Segeltuch, waren etliche Krieger der verschiedensten Rassen um einen großen Tisch versammelt. All diese Wesen wurden jedoch von einem einzelnen weit überragt. Auf einem schlichten, aber dennoch äußerst beeindruckenden Holzstuhl saß ein in Kette und Platte gehüllter Troll. Er betrachtete die drei Neuankömmlinge neugierig, während diese näher kamen.
"Ich bin Ulrav, der gewählte Kommandant dieses Lagers. Ich hörte, ihr hattet jüngst ein Zusammentreffen mit unserem Feind, den Echsen? Gut, gut, ihr seid erfahrene Krieger, immer gern gesehen und hoch geachtet. Willkommen hier bei uns. Setzt euch und eßt."
Mit diesen Worten wies er den beiden Menschen und dem Elfen einen Platz an der Tafel zu und wandte sich dann einem unscheinbar wirkenden Wesen, rechts neben seinem Thron zu.
Vanyar mußte genau hinsehen, um zu erkennen, dass es sich offensichtlich wiederum um die junge Frau aus den Wäldern handelte. Dann jedoch wurde er auf einen Platz geschoben und das üppige Essen lenkten ihn soweit ab, dass er diese aus den Augen verlor. Er sollte sie den gesamten Abend nicht mehr zu Gesicht bekommen.

Den Abend und die halbe Nacht wurden Ehlo, Kirtara und der Elf bewirtet. Geschichten wurden erzählt und man trieb allerlei derbe Scherze. Hierbei mußte ein Mensch, der dem Gewürzwein doch sehr zugesprochen hatte, schmerzhaft lernen, dass Toka keinen besonders ausgeprägten Sinn für Humor haben und nicht sehr gern angefaßt werden. Die eilends herbeigerufenen Feldscher, die den unglücklichen Galan unter dem Johlen der restlichen Gäste davontrugen, meinten jedoch, dass man die Hand vielleich retten könne.

Zum Ende des Gelages führte sie ein seltsam anmutendes Wesen von blauer Hautfarbe und großen fischartigen Augen zu einem der vielen Zelte. Dort schlugen die beiden Menschen und der Waldelf ihr Lager auf.

Im Morgengrauen, nach einer viel zu kurzen Nacht, erschallte ein lauter, von heftigen Trommelschlägen begleiteter Alarmruf durch das Lager. Und während Vanyar sein gerade angewärmtes Lager nur ungern verließ, waren die beiden Toku schnell wie der Wind auf den Beinen und stürzten voll bewaffnet und gerüstet aus dem Zelt. Der Elf hatte einige Mühe, sie in dem nun herrschenden Gedränge nicht aus den Augen zu verlieren. Sowohl Kirtara als auch Ehlo suchten sich ihren Platz im genauen Zentrum der Schlachtreihen.
Der immer noch beständig fallende Regen und der schneidend kalte Wind, der immer wieder kleinere und größere Nebelfetzen über das Land jagte, verlieh der gesamten Szenerie während des herrschenden Zwielichts eine kaum fassbare, gespenstische Stimmung.

Der Waldelf, der es gewohnt war, das Terrain für sich zu nutzen, und wenn möglich aus der Distanz anzugreifen, fühlte sich inmitten der Schlachtreihen eingezwängt und in seiner Bewegung gehindert. Trotz alledem suchte er sich seinen Platz eine Reihe hinter den beiden kampfwütigen Botschaftern, die nun im Angesicht des nahenden Feindes begannen, sich gegenseitig unflätig zu beleidigen und gleichzeitig mit ihren Können und Taten zu prahlen.
Selbst altgediente Haudegen aus dem Heerhaufen des Trolls Ulrav waren von dem blindwütig aggressiven Verhalten der beiden Menschen irritiert und zogen sich etwas zurück. So geschah es, dass sich um die beiden Toku inmitten der eigenen Schlachtreihe eine Art von Blase bildete, denn niemand wollte den beiden zu nahe kommen.

Gerade als Vanyar meinte, seine beiden Schützlinge würden nun endgültig mit Schwert und Säbel auf einander losgehen, ertönte das Signal zum Angriff und die gesamte Schlachtreihe setzte sich in lockerem Trab in Bewegung. Man hatte einen flachen Talkessel als Kriegsschauplatz gewählt, so dass nun von beiden Längseiten der angrenzenden Hügel die feindlichen Armeen bergab und laut schreiend auf einander zu stürmten.

Das Zusammentreffen der beiden Schlachtreihen wurde von einem fast infernalischen Knall, berstenden Metall und splitterndem Holz begleitet. Unmittelbar danach folgten die ersten Schmerzensschreie und das vielfache Aufstöhnen von Verwundeten und Sterbenden. Wesen aller Arten schlugen, hackten und stachen auf einander ein und das vielfarbige Blut der Sterbenden tränkte die ohnehin aufgeweichte Erde.

Kirtara und Ehlo schienen sich trotz ihrer offensichtlichen gegenseitigen Abneigung im Kampf hervorragend zu ergänzen. Selten sah Vanyar ein Paar, das so wild und gleichzeitig präzise dem Feind zusetzte. Und obwohl beide auf relativ engem Raum wüteten, kamen sie sich nicht ein einziges Mal in die Quere. Vanyar, der diese Fertigkeit im Kampf fast bewundern mußte, hätte sein träumerisches Beobachten fast das Leben gekostet. Eine jener verfeindeten Echsen stürzte sich mit einem langen, gezahnten Spieß auf ihn und hätte den Elfen wohl auch getroffen, wäre die Kreatur nicht kurz bevor sie ihr Ziel erreichte, gestrauchelt und auf der durchnässten Erde ausgerutscht. Vanyar blieb so die Zeit herumzuwirbeln und das Leben des Wesens mit einem Schwertstreich zu beenden.

Als er sich dann eben wieder den beiden Toku zuwenden wollte, um diese nicht aus den Augen zu verlieren, sah er im Augenwinkel wiederum jene seltsame junge Frau und spürte ihren Blick auf sich ruhen, ehe sie im Getümmel des Kampfes verschwand.
Die Schlacht dauerte von der Morgendämmerung bis spät in den Abend hinein. Die Kämpfe wurden verbissen und mit brutaler Härte geführt. Als sich die Heere schließlich trennten und erschöpft ihren Lagern zustrebten, begann die Arbeit der Feldscher. Zudem wurde manch Fledderer im Talkessel gesehen.
Die Heiler und ihre Helfer bargen nur wenige, nach Vanyars Meinung viel zu wenige Verletzte vom Schlachtfeld. Der Gnadenstich wurde hier wohl allzu leichtfertig gewährt. Und auch wenn der Elf die Not der Feldscher verstehen konnte, die bei derart vielen Verletzten auswählen mußten, wer einen der knappen Plätze in den überfüllten Lazaretten erhielt, so konnte er deren Handeln einfach nicht gut heißen.
Ehlo und Kirtara hingegen waren bester Laune. Sie stritten, wie gewöhnlich, wer von beiden wohl der Bessere oder Mutigere sei, während sie vor dem Zelt saßen und ihre Waffen pflegten. Kirtara war soeben damit beschäftigt, einige Scharten aus der Schneide ihres Säbels herauszuschleifen, während Ehlo einen neuen Schaft für seinen Speer zurecht schnitzte.
Vanyar, der sich nach einiger Zeit zu ihnen gesellte, bot ihnen die Versorgung ihrer Wunden auch eher halbherzig an. Zu deutlich hatte er noch die Szenen vom Schlachtfeld vor Augen.
Beide Toku hatten bei den Kämpfen lediglich leichtere Blessuren davongetragen und verweigerten natürlich jegliche Behandlung.
"Blut und Schmerz schärfen die Sinne!" ließ Ehlo den Elfen wissen, während Kirtara lediglich den Kopf geschüttelt hatte und sich weiter mit ihren Waffen beschäftigte.

In den folgenden Tagen wollte und wollte das Wetter einfach nicht besser werden. Ewig nieselte Regen auf die sich täglich aufs Neue verbissen bekämpfenden Heere herab. Keine Seite vermochte es, einen Vorteil für sich zu verbuchen, und so wurden die Scheiterhaufen des Vortages zum Schlachtfeld des kommenden.
Den beiden Toku schien das ewige Kämpfen und Schlachten Erfüllung zu geben. Und auch wenn sie dies nie zugeben würden, so hatte Vanyar den Eindruck, dass auch deren Elan mit den Tagen ein wenig nachließ. Sie waren beide deutlich ausgeglichener und sie fingen gar an, respektvoll miteinander umzugehen.
Vanyar konnte den sich täglich wiederholenden Kämpfen bei weitem nicht so viel abzugewinnen wie seine beiden Gäste. Er hielt sich jedoch beständig hinter Ehlo und Kirtara auf und ging, wenn auch mit wenig Begeisterung, dem Kriegshandwerk nach.

Am sechsten Tag, als die Rüstungen der drei Krieger doch schon sichtlich gelitten und sich die anfängliche Begeisterung auch bei den beiden Menschen weitestgehend gelegt hatte, geschah das Unglück. Niemand hatte die Kreatur kommen sehen oder konnte sie benennen.
Mit einem Male stand ein Koloss, 6 Schritt hoch und vollkommen schwarz, zwischen den beiden Toku. Jeder seiner vier Arme führte eine ebenfalls schwarze Klinge. Der Kopf des Biestes war in dunkle Nebel gehüllt, die das Wesen wie eine Rüstung umgaben.

Kirtara bemerkte ihren neuen Gegner als erstes und stürmte blindlings auf ihn zu. Säbel und Dolch blitzen auf und fuhren durch dessen mächtige, säulenartige Beine und führten Schläge gegen die Knie des Feindes.
Zu dieser Zeit bemerkte auch Ehlo den Feind. Er zögerte kurz, als er sah, dass Kirtara bereits mit ihm kämpfte, griff aber dann auch an. Zunächst schleuderte er seinen Speer nach der Brust des Kolosses. Die Waffe drang geräuschlos in die Brust des Wesens ein und verschwand in dessen schwarzen Leib.
Ehlo runzelte verärgert die Stirn und griff nach seinem Schwert, das vor ihm im Boden steckte.
Vanyar, der sich in einiger Entfernung aufhielt, witterte das herannahende Unheil und stürzte nun ebenfalls in Richtung des ungleichen Kampfes. Hierbei schlug er wie ein Berserker nach allen Feinden, die sich ihm in den Weg stellten, um schneller voran zu kommen. Trotzdem kam er nur quälend langsam näher.
Als er noch 10 Schritt von dem vielarmigen Monster entfernt war, sah er, wie dieses mit seinen Waffen auf Kirtara einschlug. Der Kriegerin gelang es irgendwie, den schwarzen wirbelnden Klingen auszuweichen oder sie mit ihren Waffen zu parieren. Schweiß glänzte auf ihrem Gesicht.
Währenddessen hatte sich Ehlo hinter dem Untier in eine günstige Position gebracht und führte nun einen zweihändigen Streich gegen dessen Rücken. Und obwohl Vanyar, der gerade eine weitere Echse niederkämpfte, sicher war, Ehlo hätte seinen Feind treffen müssen, blieb dieser unbeeindruckt stehen und drang weiter auf Kirtara ein.

Schließlich mußte der Tok seiner Kampfgefährtin zur Seite eilen und wuchtige Schläge des Wesens abwehren.
Als der Waldelf seine beiden Gefährten erreichte, konnte er trotz des ihn umgebenden Lärms deutlich den keuchenden Atem der beiden Krieger hören.
"Lange geht das nicht mehr gut", dachte Vanyar und stürzte sich nun seinerseits auf das Untier. Doch jeder Stoß und jeder Streich, den er gegen den Feind führte, richtete keinen Schaden an, obwohl alle Angriffe ihr Ziel fanden.
"Verfluchte Magie", hörte er Ehlo keuchen, als dieser sich wieder aufrappelte, nachdem er zuvor einem Angriff nur noch mit einem Sprung zur Seite hatte ausweichen können.

Der Gegner nutzte dies und drang mit seinen Waffen weiter auf Kirtara ein, die sich nun wieder allein gegen die Angriffe zur Wehr setzen mußte. Vanyar schlug immer noch von der Seite wie ein Besessener auf den Feind ein und bemerkte Kirtaras Not nicht, als diese schließlich von einem Rückhandschlag getroffen von den Beinen gefegt und etliche Schritte durch die Luft geschleudert wurde, wo sie reglos im Schlamm liegen blieb.
Vanyar folgte einem ersten Impuls und eilte zu Kirtara. Dort sah er, dass die immer gut gepflegte Rüstung ihren Dienst geleistet hatte. Kettenglieder waren zerborsten und über das Rüstleder verlief ein langer Schnitt, der die Rüstung jedoch nicht durchdrungen hatte.
"Na, einige Rippen werden wohl gebrochen sein", murmelte der Elf vor sich hin und durchschnitt die Halteriemen der Rüstung, um der Kriegerin das Atmen zu erleichtern.
Plötzlich hallte ein qualerfüllter Schrei über das Schlachtfeld. Vanyar wandte sich um und sah Ehlo mit dem Wesen aus Dunkelheit und Nebel ringen. Eines der Schwerter hatte den Tok glatt durchstoßen und ragte an dessen Rücken aus dem Körper. Das Untier hatte seinen Gegner hochgehoben und so hing der tokalische Krieger nur von der ihn durchstoßenen Klinge gehalten 3 Schritt über dem Boden.
Vanyar stürzte wie von Sinnen auf das Monster, das seinen Sieg auszukosten schien, zu und schlug mit dem Schwert nach dessen Waffe. Diesesmal sprürte der Elf deutlich, dass er etwas getroffen hatte. Das Biest ließ die Waffe los und Ehlo stürzte zu Boden. Und noch während er fiel, löste sich die Klinge in dunkle Nebelschwaden auf, die wieder dem Monstrum zustrebten.
Das Schattenwesen wandte sich nun Vanyar zu, der wie betäubt auf den am Boden liegenden Krieger starrte. Dann plötzlich wurde die gesamte Welt in goldenes Licht getaucht. Ein Wesen, bestehend aus reinem Licht schwebte über dem Elfen und stellte sich dem Untier.
Die Nebel lösten sich auf und offenbarten nun einen schwarzen gallertartigen Klumpen, der reglos in der Luft hing und sich in dem ihn umgebenden Licht wand. Dann plötzlich fiel das Gebilde zu Boden und verschwand im Schlamm, als wäre Wasser in einen Schwamm gesogen worden.
Vanyar mußte immer noch blinzeln, als das Licht nachließ und Younani vor ihm stand.
"Ich werde euch sofort hinaus bringen", kündigte sie mit weit aufgerissenen Augen an. "Beide Botschafter sind verletzt, ich kann das nicht länger verantworten."
"Laßt sie hier", erklang eine befehlsgewohnte weibliche Stimme. Hinter ihnen stand plötzlich die junge Frau, die Vanyar schon einige Male zuvor aufgefallen war. "Sie würden ihre Ehre verlieren und sich nie mehr ohne schlechtes Gewissen einer Jurte nähern können."
"Zudem hat der Krieger Ehlo mehr verloren als nur den Kampf. Er muss hier bleiben, bis seine Wunden geheilt sind."
Mit diesen Worten wandte sich die Frau um und ging zurück in das Getümmel der sie immer noch umgebenden Schlacht.
"Ich weiß zwar nicht, warum, aber ich habe irgendwie das Gefühl, dies Wesen hat recht, Vanyar. Ehlo wurde etwas gestohlen von diesem Schattendämon." Younani seufzte. "Ich bringe euch zurück ins Feldlager, dort mußt du dann sehen, wie du den beiden Botschaftern helfen kannst."
Vanyar nickte stumm und hob Ehlo auf. Im nächsten Augenblick standen sie vor einem neuen, frisch eingerichteten Feldlazarrett. "Zumindest dies kann ich für euch tun", murmelte der Bibliothekskobold. Dann legte er Kirtara auf einer Pritsche ab.

Vanyar hatte derweil seine Waffen abgelegt und zusammen mit seiner Rüstung in eine Ecke des Zeltes geworfen. Dann wusch er sich kurz und wandte sich zunächst Kirtara zu. Diese war immer noch bewusstlos. Der Elf untersuchte sie und fand so sehr schnell die drei Rippen, die durch den Schwerthieb des Wesens zerschmettert worden waren. Vanyar richtete die Knochen wieder und schob alles zurück an seinen Platz. Anschließend fertigte er einen festen Verband für die Botschafterin und flößte ihr etwas Traumbeerensaft ein, um sie ruhig zu stellen.
Dann wandte er sich Ehlo zu. Younani war zwischenzeitlich nicht untätig gewesen und hatte dem Krieger dessen Rüstung ausgezogen. So sah der Elf den großen schwarzen Fleck, der inmitten der Brust des Menschen prangte. Es roch ein wenig faulig und auch wenn die Wunde seltsamerweise nicht offen war, so hatte Vanyar keine Zweifel, dass diese zum Tod des Menschen führen würde.
Vanyar konzentrierte sich und suchte nach den Lebensfäden des Botschafters. Was er zu sehen bekam, ließ ihn erschaudern. Inmitten der Brust, dort wo eigentlich viele Fäden in der Herzgegend zusammenliefen, prangte ein großes, schwarzes Loch.
"Das Wesen hat einen Teil der Lebenskraft des Menschen gestohlen", schoss es dem Elfen durch den Kopf. Kurz widerstand er dem Drang, die wenigen intakten Stränge zu kappen und dem Menschen so einen leichten Abschied zu ermöglichen.
"Ich muß es neu knüpfen", dachte er laut, und Younani sah auf.
"Was?"
"Ich brauche Ehlos Lebenskraft zurück. Kannst du das Wesen aufspüren und die Fäden zurückbringen?"
"Ich fürchte, ich kann dir hier nicht helfen. Ich kann nur das beherrschen, was bereits im Buch war, als ihr hereinkamt." Der Kobold seufzte bedauernd. "Wenn ich euren Feind vernichte, wird die Lebenskraft des Bahuuni verloren sein. Du mußt einen anderen Weg finden, Vanyar."
"Wie soll ich das denn anstellen?" Vanyars Gedanken wanderten zurück zu seinem Freund Immerschimmer, dessen Leben er hatte retten wollen und schließlich doch beenden musste. "Ich kann nichts ersetzen, nur zusammenfügen", murmelte er, während er fieberhaft nach einer Lösung suchte.
Plötzlich stand jene Frau mit den Fellen neben ihm. "Er braucht jemanden, der bereit ist, zu teilen," flüsterte sie kaum hörbar, während ihr Blick auf dem fast toten Krieger ruhte.
"Wer bist du?" entfuhr es Vanyar. "Younani, ist das eine deiner Kreaturen?"
"Nein, sie gehört zwar ins Buch, aber aus irgenwelchen Gründen ist meine Macht über dieses Wesen begrenzt. Ich kann dir nur sagen, dass sie mit Sicherheit kein Bahuuni ist."
"Wir werden uns wiedersehen", antwortete die Frau und Vanyar schien es fast, als würde sie amüsiert lächeln. Dann war sie plötzlich wieder verschwunden.
Der Elf schüttelte verwirrt den Kopf. "Teilen?" Er sah an sich herab, dann verstand er. Der Waldelf faßte sich selbst in die Brust und nahm dort einen kleinen Teil seiner eigenen Lebenskraft. Quälend brennender Schmerz durchzuckte den Körper des Elfen, als er den kleinen Strang entnahm.
Vanyar keuchte und hielt den hell leuchtenden Faden fest in seinen Händen. Nachdem der Schmerz nachgelassen hatte, ging er zu Ehlo und setzte seine Essenz in der Brust des Bahuuni ein.
Dieser öffnete in diesem Augenblick die Augen und versuchte sich zu erheben. Dann starrte er mit offenem Mund auf seine Brust und Vanyars Hände, die dieser darin versenkt hatte, um die Fäden neu zu knüpfen.
Ehlo war lediglich halb wach, so zumindest erschien es dem Elfen, denn dieser verlangte, während er auf seine Brust starrte, nach drei Jungfrauen und einem Gefäß mit Stutenmilch oder etwas Ähnlichem. Scheinbar wollte der Menschenkrieger sich sein für ihn offensichtliches Ende so angenehm wie möglich gestalten.
Dann jedoch, von einem Augenblick auf den anderen, sackte der Tok wieder in sich zusammen und blieb bewusstlos liegen. So konnte Vanyar beginnen, seine Essenz mit der des Bahuuni zu verbinden. Die nächsten Stunden waren anstrengend für den Waldelfen und mehr als einmal mußte er Verbindungen, die er zunächst für gut befunden hatte, wieder lösen, um neue zu knüpfen.

So arbeitete Vanyar bis zum Morgengrauen des nächsten Tages. Dann hatte er es geschafft. Er hatte das Loch in Ehlos Brust geschlossen. Der schwarze Fleck war verschwunden und frische, rötlich schimmernde Haut überzog die ehemalige Wunde.
Vanyar besah erschöpft, aber zufrieden sein Werk. Dann wandte er sich nochmals Kirtara zu und sah nach dieser. Die Kriegerin war wohl schon einige Zeit wach gewesen. Sie beobachtete den Elfen genau, sagte jedoch kein Wort oder zeigte auch nur eine Gefühlsregung.
Dem Elfen war das nur recht. Er hatte sich verausgabt und wollte nun nur noch schlafen. So kletterte er auf eine leer stehende Pritsche und war kurz darauf eingeschlafen.
Irgendwann später, nachem Vanyar wieder erwacht war, brachte Younani, die während der gesamten Zeit in einer Ecke des Lazaretts gesessen hatte, die beiden Menschen und den Elfen wieder zurück in die Bibliothek von Titania. Von dort aus wurden die beiden Botschafter in ihre Unterkünfte gebracht, um sich zu erholen, während Vanyar sich zu seiner Schmiede begab, um beim Klang der Hammerschläge über viele Dinge nachzudenken.

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