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Wie alles begann ...

Es war ein stürmischer Herbsttag. Der Wind zerrte an den Ästen der Bäume und blies die letzten Halme auf einem abgemähten Weizenfeld durcheinander. Wolken fegten über den Himmel und verdunkelten die Sonne.

Der Wind schien aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen und plötzlich trafen zwei Windströmungen mit einem kurzen Krachen aufeinander und in der Mitte des Feldes entstand eine Windhose, die vielleicht gerade einmal kniehoch war. In sehr kurzer Zeit war sie zu einer stabilen Säule geworden, die nun geradewegs Richtung Titania wirbelte.

Dort angekommen verwüstete sie hier einige Blumen, dort ein Beet, bis sie schließlich an den Garten einer jungen Elfe kam, und beschloss diesen ein wenig umzugestalten. Die Elfe ihrerseits war damit gar nicht einverstanden und jagte ärgerlich hinter der Windhose her. In ihren Händen schwang sie einen Besen und versuchte damit den unerwünschten Störenfried aus ihrem Garten zu vertreiben.

Ich für meinen Teil fand dieses Spiel unheimlich unterhaltsam und lachte leise vor mich hin. Da plötzlich senkte die Elfe ihren Besen, grinste über das ganze Gesicht und rief: "Hallo Windkobold! Willkommen in Titania!"

Ich drehte mich verwirrt um. "Mit wem sprach sie da? Was für ein Windkobold?" Aber seltsam, sie schaute genau in meine Richtung. "Hatte sie vielleicht mich gemeint?"

Nachdenklich setzte ich meinen Weg fort, durch die bunten Straßen Titanias, bis ich auf einmal an dem Hafen der Stadt angelangt war. Dort setzte ich mich auf eine der vielen Kisten, die gerade von einem Schiff abgeladen worden waren und beobachtete die Leute, die geschäftig hin und her liefen. Die meisten von ihnen waren größer als ich, aber sie unterschieden sich fast alle sehr in Körpergröße, Aussehen und Sprache. Da fiel mir plötzlich ein: Wie sah ich denn überhaupt aus? Ich blickte an mir herunter. Nun ja, groß war ich nicht gerade, vielleicht gerade einmal so groß, wie die Kiste auf der ich saß. Dafür standen mir die silberne Weste und der grüne Umhang den ich trug, ausnehmend gut. Doch, ich war ganz zufrieden mit mir.

"Ein Sturm zieht auf. Na hoffentlich schafft es das Handelsschiff noch vorher in den Hafen." hörte ich eine piepsige Stimme von irgendwo über mir.

Ich flog nach oben auf den höchsten Stapel der Kisten und blickte mich um. Ein kleines Männchen hatte auf einem anderen Stapel gestanden und verschwand nun hinter einem großen Faß. Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden hob ich abermals ab und schwebte auf das Schiff zu, dessen Ladung gerade gelöscht wurde. Als ich es erreichte, schraubte ich mich am großen Segel in der Mitte des Schiffes immer höher in die Luft. Dabei habe ich wohl einen der Matrosen sehr erschreckt, denn der zwinkerte plötzlich ganz komisch mit den Augen als er mich sah und wäre dann beinahe aus den Wanten gefallen. Er schaffte es dann aber doch sicher nach unten und ich beschloss einmal nachzuschauen, was es mit dem Handelsschiff auf sich hatte, das das kleine Männchen vorhin erwähnt hatte. Also flog ich auf das Meer hinaus und schaute mich auf dem großen Schiff um, dass von den Wellen hin und her geschaukelt wurde.

Auf dem Deck des Schiffes herrschte hektisches Treiben. Das Wetter wurde immer schlechter und die Mannschaft bereitete das Schiff auf den drohenden Sturm vor.

Nur in einer Ecke des Decks, gut versteckt zwischen einigen Tauen und Kisten, saßen einige kleine Menschen und spielten mit Figuren aus Holz. Ihnen schien der heftige Seegang nichts auszumachen, im Gegenteil, sie lachten und hatten offenbar großen Spaß daran, wenn ihre Figuren durcheinander fielen.

Das Schiff schaukelte jetzt immer stärker und plötzlich gab es in dem hinteren Teil des Schiffes große Aufregung. Offenbar war irgendwo Wasser eingedrungen und die Matrosen und Passagiere liefen verängstigt hin und her und versuchten mit Eimern das Wasser wieder aus dem Schiff hinauszubekommen.

Jetzt endlich schienen auch die Kinder zu merken, dass etwas nicht in Ordnung war. Die vielen Menschen, die vor Angst durcheinander liefen und schrieen machten ihnen Angst und sie fingen an zu weinen. Doch keiner der Erwachsenen beachtete sie. Sie waren viel zu sehr damit beschäftigt das Schiff zu retten.

Ich verstand, dass die Kinder und auch die anderen Menschen auf dem Schiff in großer Gefahr waren. Doch ich wollte nicht, dass den Kindern, die so lustig gespielt hatten irgendetwas passiert. Also musste ich etwas unternehmen. Ohne lange nachzudenken rief ich den Wind an und bat ihn, mir zu helfen. Dann hob ich das Schiff aus den tosenden Wellen. Die Seeleute waren so verdutzt, daß sie mit offenen Mündern und gänzlich verwirrten Gesichtern auf dem Deck stehen blieben und in die Luft starrten. Diesen Anblick fand ich so komisch, dass ich laut lachen musste. Leider verlor ich dadurch meine Konzentration und das ganze Schiff fiel mit einem lauten Platschen zurück ins Meer.

"Uups," sagte ich leise. "'Tschuldigung." Dann schickte ich den Wind schnell wieder unter das Schiff, um es abermals in die Luft zu heben.

Die Leute hatten mich nun gesehen und riefen mir zu, ich solle sie an Land bringen. Ich überlegte kurz und bewegte mich dann mit dem Schiff in Richtung Land.
"Wohin jetzt damit?" dachte ich bei mir und sah mich suchend um. Da sah ich, einige Kilometer entfernt im Landesinneren einen Berg, der eine gespaltene, abgeflachte Kuppel hatte. Der Berg war außerdem nicht sehr steil und meiner Meinung nach, würde man da prima runterklettern können. Also setzte ich das Schiff sicher oben auf dem Berg ab.

Zu meinem Erstaunen fanden die Menschen auf dem Schiff das gar nicht gut und sie fingen an zu schimpfen und ihre Fäuste zu schütteln. Na, bei so undankbaren Leuten wollte ich nicht länger bleiben. Doch dann sah ich die Kinder an Deck stehen. Sie lachten und winkten mir fröhlich zu. Ich winkte zurück und flog dann langsam davon.

Während ich mich gemächlich von einer verspielten Brise dahintreiben ließ, gingen mir eine Menge Dinge durch den Kopf: Woher war ich eigentlich so plötzlich gekommen? Was war ein Windkobold? Und wie hieß ich überhaupt? Unter mir war ein kleines Wäldchen. Die Brise, die mich durch die Lüfte trug streifte die Blätter der Bäume und ich hörte ein Wispern: "Chyalix … Chyalix…! "
"Was?" sagte ich zu niemand besonderem, denn da war ja niemand.
Wieder dieses Wispern, ein Rauschen in den Wipfeln: "Chyalix!"
"Meinst Du mich?" fragte ich in die Luft hinein.
"Ja…Chyalix." Und dann waren wir an den kleinen Wald vorbei und das Rauschen war verstummt. Ich wußte nicht, wer mich gerufen hatte, aber ich wußte jetzt meinen Namen: Chyalix!

Nach einiger Zeit kam ich wieder an ein Meer. Aber es schien nicht dasselbe zu sein, wie zuvor, denn hier war das Wasser ganz ruhig und es funkelte im Licht der warmen Sonne. Kleine Fische durchbrachen auf ihrer Suche nach leckerem Futter hin und wieder die Oberfläche und hinterließen große Kreise. Nicht lange, und ich bemerkte eine sommergrüne Insel mitten im Meer. Zielstrebig flog ich auf sie zu.

Drüben angekommen ließ ich mich langsam zu Boden gleiten und seltsamerweise fühlte ich mich gleich völlig sicher und geborgen. Es war das Gefühl, nach Hause gekommen zu sein. Ohne ein bestimmtes Ziel im Kopf wanderte ich los. Ich bewunderte die Wiesen mit den vielen Blumen und die kleinen Insekten, die in allen Farben schimmernd umherflogen. Doch auf einmal sah ich ein Wesen, wie ich es noch nie gesehen hatte, das weder Mensch noch Tier war. Es sah aus, wie ein winzig kleine, zarte Frau - nur hatte sie winzige Flügelchen auf dem Rücken, mit denen sie fröhlich in der Luft und um mich herumtanzte. Mit einer blitzschnellen Bewegung, fing ich das Wesen und hielt es in dem Hohlraum, den ich zwischen meinen Händen gebildet hatte, fest. Ich öffnete meine Hände einen winzigen Spalt und spähte hinein. Die kleine Frau schüttelte sich, stand dann auf und schaute mich etwas irritiert an.

"Hallo," sagte ich.
"Hallo," entgegnete sie und an ihrer Stimme hörte ich, daß sie nicht sehr begeistert davon war, einfach so aus der Luft gegriffen und festgehalten zu werden.
"Könntest Du mir bitteschön einmal erklären was das soll, einfach friedliche umherfliegende Feen festzuhalten?" zeterte sie.
"Uhm…Bist Du eine Fee?"
"Natürlich bin ich eine Fee. Was dachtest Du denn?"
"Ich weiß nicht, ich habe so was wie Dich noch nie gesehen." gab ich zu und nahm jetzt meine Hand ganz weg, so daß die Fee frei auf meiner Handfläche stand.

Sie schaute mich ziemlich lange ziemlich genau an. Langsam wurde mir das unangenehm und ich wollte eigentlich weitergehen, nur, das wäre wohl nicht sehr hilfreich gewesen, da sie immer noch auf meiner Hand stand.

Plötzlich lachte sie und sagte:
"Nun, dann bist Du wohl noch ein ganz junger Windkobold, was? Am besten gehst Du mal in diese Richtung," dabei wies sie mit ihrem winzigen Finger auf einen kleinen Wald, der sich direkt an die Wiese anschloß. "Nicht weit. Da wirst Du bald auf jemanden treffen, der Dir weiterhelfen kann."
"Danke," sagte ich höflich und weil ich nicht wußte, was ich sonst hätte sagen sollen.

Die Fee stieß sich von meiner Handfläche ab und schwirrte davon. Ich dagegen tat, was sie gesagt hatte und ging zu dem Wäldchen, das herrlich grün und trotz seiner Dicht sehr hell war. Nach kurzer Zeit kam ich an eine Lichtung und auf dieser Lichtung sah ich einen jungen Hasen, der offenbar von einer kleinen Windhose verfolgt wurde. Zwar war diese Windhose nicht um vieles größer als der Hase selbst, aber sie war um einiges schneller und vermochte jeden Haken, den das verwirrte Tier schlug, sofort nachzumachen, um gleich wieder vor seiner Nase aufzutauchen. Es sah nach einem lustigen Spiel aus und ich lachte laut. Sofort blieb der Kreisel aus Wind in der Luft stehen und der Hase verschwand erleichtert im Wald. Aus dem Wirbel wurde nach und nach ein kleines Männchen, daß mir irgendwie ähnlich sah.

"Ah, ein junger Windkobold," rief er sichtlich erfreut. "Wie heißt Du denn?" "Chyalix," entgegnete ich.
"Sei mir gegrüßt Chyalix. Ich bin Unsire Du hast bestimmt viele Fragen, nicht wahr?"
"Ja." Ich nickte. "Zum Beispiel, woher bin ich gekommen und wo bin ich hier und was ist ein Windkobold und was sind Feen und…"
Hier unterbrach er mich lachend. "Immer langsam Chyalix. Komm, setzen wir uns erst einmal hier auf diesen Baumstamm und dann werde ich Dir in aller Ruhe alles erzählen, was Du über Dich und über uns Windkobolde wissen solltest."

Also setzten wir uns und er begann zu erzählen. Von der Insel der Naturgeister, von König Oberon, dem Eremiten, von Elfen und Zwergen und Feen. Aber auch von Kobolden, von denen es eine erstaunliche Vielfalt gab. Vor allem aber erklärte er mir, wie die Windkobolde aus den Winden geboren werden, daß die Luft und der Wind unsere Freunde sind und daß die Windkobolde bei den Naturgeistern eine außerordentlich wichtige Aufgabe zu erfüllen haben. Wenn nämlich ein Naturgeist stirbt, dann bringt ein Windkobold seine Seele zum Seelenmeer, so daß der Kreislauf von neuem beginnen kann.

Über diese ganzen Geschichten war die Nacht hereingebrochen und mein Kopf war so vollgestopft mit vielen neuen Dingen, daß ich ganz erschöpft war. Unsire, dem noch nicht nach schlafen zumute war, flog davon, um noch einige harmlose Waldbewohner zu ärgern. Ich dagegen flog in die Wipfel des nächstgelegenen Baumes, suchte mir ein weiches Bett aus Blättern und schlief bald ein. Mein letzter wacher Gedanke war, daß ich Unsire ganz vergessen hatte zu fragen, wie ich die Seelen finden und dann zum Seelenmeer bringen sollte, von dem ich nebenbei auch keine Ahnung hatte, wo es sein könnte. Nun ja, das würde ich schon noch herausfinden, dachte ich und überließ mich dann meinen Träumen. Darin träumte ich, daß ich Oberon mit einer Krankheit ansteckte und er überall kleine rote Punkte bekam: Windpocken.

Ein Lächeln glitt über meine Lippen und in dieser Nacht träumte ich noch von vielen anderen Albernheiten...

Chyalix
2002