Naturgeist

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Diese Geschichte spielt im Herbst 38 n.d.F. und basiert auf den Ereignissen des Schneemühlen-Cons der Naturgeister (Herbst 2001). Auch weitere "Parallelen" sind nicht ganz zufällig... ;-)

Herbstfest bei den Naturgeistern

"Und 'Wülüdühü' ist der Trinkspruch der Naturgeister.", endete Jalmur seine Ausführungen. "Vülütüdü!", echote Tjordis mit einem zweifelnden Blick auf den Fürsten. Jalmur grinste breit: "Nein, nein, das muss viel weicher sein!"
'Das lerne ich nie...', dachte Tjordis und wandte den Blick zum Küstenstreifen. In einiger Entfernung zum Ufer konnte sie dichten Wald inmitten der weiten Steppenlandschaft erkennen.
Die junge Frau hatte einmal mehr Handelswaren nach Neu-Westurgoi überführt, und Jalmur hatte sie eingeladen, ihn zum Herbst-Fest nach Titania zu begleiten. Etwas mulmig war Tjordis schon zumute gewesen: da sollten doch ganz merkwürdige Wesen wohnen!
Sie konnte sich noch gut an das Friedens-Fest in Wellingtok zurückerinnern. Auch da sollen solche Geschöpfe gewesen sein. Doch Tjordis konnte sich nicht bewusst an sie erinnern, da die nun mal keinen Bedarf an Pferden, Schwertern und sonstigen Handelsgütern gezeigt hatten. Nur manchmal geschahen seltsame Dinge: ihr kleines Schnitzmesser war von einem Moment auf den anderen verschwunden gewesen und an einem völlig unüblichen Platz wieder aufgetaucht; manchmal umwehte sie ein Windhauch, der zu flüstern schien; es gab Elfen mit spitzen Ohren, wobei sie das nie unterscheiden konnte, ob von denen jemand zum noch seltsameren Hügelvolk gehörte; große Felsbrocken, die sich scheinbar bewegten; und dann war da das abendliche Lagerfeuer, aus dem ihr muntere kleine Äuglein zuzwinkerten...
All das gab nun für sie einen Sinn, nachdem ihr Jalmur einiges über die Naturgeister erzählt hatte. Viele Völker schien es bei diesen Wesen zu geben - eins merkwürdiger und seltsamer als das andere! Doch Jalmur schien mit ihnen allen gut auszukommen, hatten sie ihn doch sogar zum Botschafter und Freund ernannt!
Nun war sie als Händlerin ja einiges gewohnt, doch die Begegnung mit Naturgeistern in deren eigenen Land ängstigte Tjordis ein wenig. Sie war daher froh, daß sie sich an Jalmur halten konnte, der sich auf die Begegnung mit seinen seltsamen Freunden sogar zu freuen schien!

Nach geraumer Zeit hatte das Schiff den Tieflandstreifen erreicht, an dessen Anschluss sich Titania befinden sollte. Tjordis konnte dieser Savannenlandschaft nur wenig abgewinnen, und so unterhielt sie sich weiter mit Jalmur über die Sitten der seltsamen Wesen, denen sie bald begegnen würde.
Eine Spiegelung am Horizont ließ sie aufmerken. Erreichten sie nun bald die Stadt, die wie eine Blume aussehen sollte - von einer marmornen Mauer mit vielen Türmchen und Zinnen umgeben?
Als Snjörd das Schiff näher auf die Stadt zuhielt, erkannte die junge Frau, dass die Stadt der Naturgeister sogar noch viel prächtiger war, als sie sich das je hatte vorstellen können! Titania hatte tatsächlich die Form einer Blüte. Die Mauer bildete die äußeren Blütenblätter, die erkennbaren Häuser bildeten das innere, und die Zitadelle hob sich hoch empor und füllte die Blüte aus. Die weithin sichtbare Feuerzinne als höchste Erhebung in der Mitte kam Tjordis wie ein Leuchtzeichen vor, das Seefahrern des nachts den Weg weisen konnte.
Au einmal erschien ein kleines Männlein bei Snjörd!
"Ein Klabautermann!", flüsterte Jalmur dem erschrockenen Mädchen zu. "Er soll das Schiff sicher in den Hafen lotsen. Durch unsere häufigen Besuche haben wir diese Hilfe im Grunde genommen nicht mehr nötig, aber es gehört nun mal zum Begrüßungsritual für ankommende Schiffe. Im Vertrauen gesagt: Ich habe das Gefühl, dass er auch da ist, um sich einem Eindruck über unsere Absichten zu verschaffen. Viele Naturgeister sind Menschen gegenüber misstrauisch, da sie von ihnen nicht viel Gutes zu erwarten haben." Snjörd wie auch die anderen Walis machten dennoch Zeichen zur Abwehr von böser Magie, obwohl sie dies schon häufiger erlebt haben mussten. Unsicherheit war in den Augen einiger Seemänner zu lesen, bei manchen sogar eine gewisse Angst,. Da sie jedoch ansonsten nicht viel Aufhebens machten, nahm Tjordis dieses Ereignis hin, auch wenn ihr selbst nicht ganz geheuer war. Die offensichtlich gewirkte Zauberei war etwas, das sie nur schwer begreifen konnte. Mit viel Geduld versuchte Jalmur, ihr die Angst zu nehmen. "Gute Menschen brauchen die Naturgeister-Magie nicht zu fürchten!"
Doch Tjordis war sich nicht sicher, ob sie sich als "guten Menschen" einordnen konnte, und so blieb eine gewisse Bangigkeit.

Das Langschiff legte im Handelshafen von Titania an, welcher wie eins der äußeren Blütenblätter gestaltet war. Sogleich umschwirrten kleine geflügelte Wesen die Menschen.
"Kleinfeen!", erläuterte Jalmur und streckte einem dieser Wesen seine flache Hand hin. Dies stellte sich auch sogleich darauf und begrüßte ihn herzlich - zumindest dachte Tjordis, daß dies wohl eine Begrüßung sein müsse - denn diesen merkwürdigen Singsang verstand sie einfach nicht!
Etwas summte an ihrem linken Ohr - und sie wollte das lästige Insekt wegschlagen! Die betroffene Kleinfee begann kräftig zu schimpfen, denn etwas anderes konnte dieses schrille Keifen gar nicht sein! "Äh, Entschuldigung!", sagte das Mädchen verzeifelt, aber die Kleinfee hatte sich schon beleidigt verzogen. "Ich hatte Dir doch gesagt, Du sollst aufpassen!", ermahnte Jalmur sie. "Naturgeister reagieren manchmal völlig anders, als wir es kennen. Diese Kleinfeen sind schnell beleidigt, aber genauso schnell haben sie das wieder vergessen, wenn sie ihren Schabernack treiben können."
Tjordis seufzte. Na, das konnte ja heiter werden! Konnte sie vielleicht nicht einmal einen Zweig zerbrechen, ohne dass ein Naturgeist sich beschwerte?
Die Mannschaft des Langschiffes lud die mitgebrachten Geschenke und das Gepäck aus.
Schwarztrunkbohnen, Trinkschokoladepulver, kleine Schnitzereien, bunt gewebte Stoffe, Glassteine in den schillernsten Farben und walische Truhen mit persönlicher Habe luden sie auf die kleinen Pferdekarren, die alles zu Jalmurs Haus bringen würden.

Jalmur lud Tjordis ein, in seinem Haus zu wohnen. Als sie die Stadt über den Marktplatz betraten, war sie schier überwältigt von deren Pracht! Dies war keine gewöhnliche Stadt! Sie wirkte verspielt und irgendwie... verwirrend! Feste Mauern sah man, aber auch Baumhäuser und Pflanzenbrücken, Wiesen und Haine. Es wirkte zwar alles irgendwie wohldurchdacht, aber auch "unordentlich".
Erleichtert ließ sie sich von Jalmur zu dessen Haus führen. Der merkwürdige Eindruck dieser Stadt wurde noch verstärkt, weil es keine geraden Wege gab! Auch die Häuser und Hütten waren völlig unterschiedlich! Kleine und große, gemauerte und reetgeflochtene, runde und eckige, Grubenhäuser und große Wohnbäume - und dazwischen immer wieder Blumenwiesen oder Steingärten!

Auch Jalmurs Haus passte in dieses Gefüge. Es war aus Stein gebaut und drei Stockwerke hoch. Kletterpflanzen umrankten die Mauern und Erkerchen, und es hatte so gar nichts von einem walischen Langhaus. Innen hatte es Jalmur jedoch nach seinem Geschmack eingerichtet. Noch ganz benommen ließ sie sich auf eine Sitzbank sinken, und versuchte diese ganzen Eindrücke zu verarbeiten. Kjelt und Rodrik freuten sich sehr, einen Gast aus Waligoi begrüßen zu können, und tischten auf was die Speisekammer hergab! Hungrig machte sich Tjordis über den Braten mit Kraut und den merkwürdigen, aber schmackhaften "Erdapfel-Klößen" her...

Nachdem man sich gestärkt und viel erzählt hatte, meinte Kjelt zu Jalmur: "Das Herbstfest findet übrigens VOR den Toren der Stadt statt! Die Naturgeister haben wohl einiges Volk eingeladen, das sie nicht IN ihrer Stadt haben wollen..." Tjordis fand das merkwürdig, aber da Jalmur nicht weiter darauf einging, beschäftigte sie sich damit nicht näher.

Am Abend machten sich die vier Walis auf vor die Tore von Titania.
Jalmur hatte einige Flaschen Wein bei sich, die er persönlich überreichen wollte. Auch Tjordis hatte an ein Gastgeschenk gedacht. Schweren Herzens trennte sich von einer Kiste des besten Mets, den man in Neu-Westurgoi für viel Geld oder Tauschwaren erwerben konnte. Aber sie dachte sich: so viel werden diese Natur-'Geister' schon nicht trinken...
Dieses imposante Baumtor, von dem Jalmur so viel erzählt hatte... es flößte der jungen Frau so viel Respekt ein, daß sie sich kaum hindurchzugehen traute!
Es ließe nur Menschen und Wesen reinen Herzens passieren, hieß es. Reinen Herzens? Was sollte das denn sein? Natürlich würde sie keinem ihrer Gastgeber schaden wollen - aber was, wenn die etwas zerzauste Kleinfee von vorhin nun immer noch auf sie böse war? War man dann noch reinen Herzens??? Selbst Kjelt, der doch schon geraume Zeit in Titania wohnte, war es immer noch mulmig beim Durchschreiten des Tores zumute!
Erst als Jalmur sie am Ärmel zupfte, schüttelte Tjordis die Beklommenheit von sich ab - und machte den ersten zögerlichen Schritt... doch die Bäume rührten sich kein bisschen.

"Etwas außerhalb Titanias, in Richtung Neu Descaer,", wie Jalmur Tjordis aufklärte, "befindet sich ein größeres Wäldchen. Das Herbstfest findet auf einer Lichtung in diesem Wäldchen statt."
Aus verschiedenen lebenden Pflanzen war eine Laube geschaffen worden. Bäume bildeten eine Art Dach, Sträucher Sitzgelegenheiten und Gräser waren zu bequemen Matten verflochten. Dort waren im Schein vieler kleiner Lichter viele Menschen und Wesen versammelt. Es waren Insekten, die dieses Licht machten - und Kleinfeen mit winzig kleinen Laternen. Tjordis war überwältigt von der Verschiedenheit und der Farbenpracht! "Was sind denn die komischen blauen Wesen mit den Schwimmhäuten und den merkwürdigen Ohren für Naturgeister?", flüsterte sie zu Rodrik hinüber, als sie Platz genommen haben. "Das sind keine Naturgeister - das sind Wasservölkler!", raunte der Wali zurück. 'Ah ja...' die fügten sich aber sehr gut ein in das seltsame Bild, das sich dem Mädchen bot.

Elfen, Zwerge, Riesen (hier "Berggeister" genannt), Feen, Kobolde, Nymphen und mitten unter ihnen eine Menschenfrau, die als "Weiße Hexe" bezeichnet wurde (schnell machte Tjordis ein Schutzzeichen; möge ihre Stammesgöttin Hyldir jegliche Zauberei von ihr fernhalten!) - dem Mädchen schwirrte der Kopf von den ganzen neuen Begriffen!
Die wenigen Clanthern und anderen Menschen fielen in diesem bunten Rund irgendwie gar nicht auf!

Der Abend begann mit lieblichem Gesang einiger Kobolde und Elfen. Die junge Frau wurde von dem Zauber der Melodie sofort gefangen genommen, und bald summte sie das Lied mit, obwohl sie kein Wort seiner Bedeutung verstand. Träumte sie nur, oder ging es den anderen Menschen im Rund auch so? Auf fast alle Gesichter zauberte sich ein Lächeln... Verwirrt schüttelte Tjordis den Kopf - was war nur mit ihr los? War da wieder Magie im Spiel? Hilflos schaute sie zu den anderen Walis - aber auch die genossen den Vortrag der schönen Weisen. War hier denn niemand mehr vernünftig??? Sie sah sich um. Doch, dort saßen schwarz gekleidete Menschen - die schienen ebenfalls nicht dieser Zauberei erlegen zu sein. Aber dafür machten die einen merkwürdigen Eindruck, trotz dem gütigen Lächeln ihres "Anführers"...
Der Gesang hatte aufgehört! Eine Wasservolk-Frau trat vor die Versammelten und begrüßte alle aufs Herzlichste. Dann rief sie auch schon Jalmur auf! Dieser überreichte mit vielen Worten der Dankbarkeit den mitgebrachten Wein, der schon ob seines Namens "Oberon" für Heiterkeit sorgte. "Das ist der Name des Elbenkönigs", raunte Rodrik Tjordis zu, als er ihren verständnislosen Blick bemerkte. Jalmur erzählte eine kleine Geschichte, wie der Wein zu seinem Namen gekommen war. Danach hieß er Tjordis nach vorne treten! Das Mädchen stand mit etwas wackligen Knien auf und atmete dann tief durch... Jalmur stellte sie den Versammelten vor, und kurz erzählte sie, was sie hierher geführt und dass sie ebenfalls ein Geschenk mitgebracht hatte. Außerdem entschuldigte sie sich, dass ihr alles so fremd war und bat um Nachsicht für ihre Unkenntnis. Verstohlen sah Tjordis sich um. Aber sie bemerkte nur freundliche Blicke - bis eine Kleinfee vor ihrem Gesicht schwirrte. Es war diejenige, welche von Tjordis versehentlich geschlagen worden war. "Mach' Spaß!" grinste das Wesen und stupste das Mädchen auf die Nase. Tjordis grinste ebenfalls - und weg war das kleine Ding. Die junge Frau holte nun den Met hervor. Jalmur reichte nach walischer Sitte sein gefülltes Horn in den versammelten Kreis, und auch Tjordis füllte ihr Horn und gab es weiter. Auf einmal hatte sie den Eindruck, bewusst angesehen zu werden. Ein - ja was eigentlich! - musterte sie eindringlich. Der schlanke Körper, die elegante Erscheinung, die spitzen Ohren - und doch so ungleich den anderen Elfen. Die Haare waren so bleich wie seine Haut, und die weiße Gewandung mit dem silbrigen Besatz betonte noch den Eindruck einer besonderen Persönlichkeit. Wie er sie mit seinen roten Augen eindringlich ansah... nicht so fröhlich und ausgelassen wie die anderen Naturgeister, sondern ernst und irgendwie... erhaben. Sein Blick schien sie regelrecht anzuziehen - es war ein Gefühl, wie sie es nie zuvor gespürt hatte...
Tjordis schüttelte den Eindruck ab und sah lächelnd zu, wie einige Wasservölkler das fast leere Methorn reklamierten. Sogleich füllte sie es wieder und reichte es weiter.
Schließlich setzte sie sich wieder zu den anderen Walis, und ließ den weiteren Abend auf sich wirken. Egal, ob es dieser Waisenjunge war (Was war ein Waisenhaus? Bei den Walis wäre dieser Junge natürlich bei Verwandten untergekommen!) oder dieser schwarz gekleidete Mensch mit seinem - wie nannten die Naturgeister das - "dunklen Splitter", wegen dem das Fest außerhalb der Stadtmauern stattfand (wenngleich nicht erklärt wurde, warum), der um Handelsmöglichkeiten in Titania bat; die erfreuliche Kunde, dass die Walis ein Handelskontor erhalten sollten; das Wasservolk in seiner Fröhlichkeit und diese ganzen Naturgeister mit ihrer langsam vertraut werdenden Fremdheit - dieser Abend war etwas ganz Besonderes. Schließlich endete der zeremonielle Teil, und die meisten Menschen und Wesen verließen das Rund. Einige Naturgeister begannen wieder zu singen, und auch Jalmur setzte sich dazu. Er kannte wohl genug von dieser "Allgemeinsprache" der Naturgeister Allanan Estrivel und hatte auch die Melodien schon des häufigeren gehört. Als Skalde fiel es ihm darum leicht, mit einzustimmen.
Ein Naturgeist saß jedoch dabei, ohne zu singen. Es war der weiß gewandete "Elf" (oder was auch immer er war), der zwar in der Menge saß, sich jedoch durch seine Ausstrahlung deutlich von andern abhob. Er beugte sich zu einem Gefäß, in dem ein kleiner Baum zu sehen war und begoss diesen offensichtlich mit Wasser aus einer kleinen Karaffe.
Tjordis gedachte, sich in die Runde zu setzen und einfach die schöne Stimmung zu genießen - doch ohne es recht zu bemerken, füllte sie das Methorn nochmals und ging zu diesem seltsamen Wesen. Sie sah ihm tief in die Augen, als sie ihm das Horn reichte, und sagte leise: "Wülüdühü..."

***

"Wülüdühü..." hörte er diese Menschenfrau sagen, die ihn dadurch jäh aus seiner Geistesabwesenheit riß. 'Gar nicht mal so schlecht betont, für eine Bahuni.' ging es ihm durch den Kopf, als er sie mit einem schnellen Blick ein weiteres Mal musterte.

Eigentlich hatte er gar nicht zu dieser Feierlichkeit kommen wollen. Doch die Aussicht hier auf Besucher weit entfernter Völker zu treffen, die er nach dem Verbleib seiner verlorenen Cousine befragen konnte, gab den Ausschlag, diesem Zeremoniell doch beizuwohnen. Die erhofften Informationen waren mehr als spärlich ausgefallen, so dass der Fee schon fast bedauerte, überhaupt erschienen zu sein, aber nun gab es etwas Wichtigeres was seiner Aufmerksamkeit bedurfte, und seine Stimmung begann sich aufzuhellen.

Er hatte diese junge Frau schon während der Zeremonien bemerkt. Sie gehörte dem seefahrenden Volk der Wali an, welches in Neu-Westurgoi , einem Land estlich des Naturgeisterreiches beheimatet war.
'Dieses Mädchen kam jedoch direkt aus Waligoi, aus der Alten Welt, der ursprünglichen Heimat der Walis. So hatte zumindest Jalmur, Botschafter und Freund der Naturgeister, sie vorgestellt.' Ein Lächeln schlich sich auf das porzellanweiße Antlitz des Naturgeistes: 'Eine Exotin...'

Verschmitzt lächelnd erhob er sich, wobei eine theatralische Geste seine weißen Gewänder derart aufbauschten, als ob eine Brise in sie gefahren sei. Die vor ihm stehende walische Händlerin um Haupteslänge überragend, konnte er im flackernden Widerschein der Laternchen, die von den Kleinfeen zurückgelassen worden waren, ihr jugendliches Gesicht und ihre blauen Augen genauer begutachten. Mit dem Blick des Experten konnte er darin viel mehr erkennen, als die walische Händlerin je erahnen würde...
Er war sich nur nicht darüber im klaren, ob er sie, aufgrund ihres Standes innerhalb ihres Volkes und ihrer körperlichen Entwicklung, als Frau bezeichnen sollte, oder aufgrund ihrer offensichtlichen Jugend und Unerfahrenheit doch eher noch als Mädchen.
Die Wali erinnerte den Naturgeist an seinen Aufenthalt in Tir Thuatha. Er wusste im Moment nicht warum, aber es war so.

Mit einer langsamen, aber gezielten Bewegung nahm er das Methorn aus ihrer Hand entgegen, wobei seine Hand wie zufällig die Ihre berührte - ein Streicheln, welches einen wohligen Schauer bei Tjordis auslöste.

"Wüludühü" flüsterte er ihr zu.
Ohne seinen Blick von der kleinen Händlerin zu wenden, nahm der Fee einen Schluck des süßlichen Honigweins und reichte das Horn an sie zurück, wobei Tjordis abermals eine Berührung seiner Hand spürte, die ihr durch und durch ging.

Obwohl der Geruch des süßlichen Mets die Luft schwängerte, konnte er ihren Duft wahrnehmen. Es war nicht der Geruch von schwerem Parfüm, wie es z. B. die Caswallonier verwendeten, oder von Seife, von der er wusste, dass die Walis diese kannten und benutzten, sondern es war der ihr eigene Körpergeruch, den er als angenehm empfand.
Irgendwie war diese Frau interessant. Sie hatte das gewisse Etwas an sich, das mehr in ihm berührte als nur seinen "Jagdtrieb" anzustacheln.

"Anthardes Belnan Chiar Domm Ethar van Gyhr"
"Entschuldigt bitte, aber ich spreche 'Allan Etr...' äh, Eure Sprache nicht." entschuldigte Tjordis sich hastig.
"So lautet mein Name.", antwortete Anthardes in einem leicht akzentuierten Walisch und musste sich ein Lachen verkneifen, als er den irritierten Blick des Mädchens bemerkte.
"Oh, entschuldigt..." entfuhr es ihr, und der Fee konnte die Röte in ihre Wangen aufsteigen sehen.
"Wenn ich mich recht entsinne, ist Tjordis der deine?"
Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort:
"Ich bin begierig darauf etwas von der Alten Welt zu erfahren. Von Waligoi. Von deinen Fahrten in die Yddia. Von... Dir..."

***

Tjordis fühlte sich merkwürdig. Diese roten Augen, die in ihr Innerstes zu blicken schienen, die weiche, vertraut klingende Stimme, die weiß behandschuhte Hand, die sanft auf ihrer Schulter lag und mit ihren Haaren spielte... Es war, als ob sie dieses Wesen schon ewig kannte, als ob sie sich ihm völlig öffnen könnte, ihm alles erzählen und mit ihm alles erleben...

Obwohl die junge Wali genau wusste, dass es nur ein paar Schritt bis zu Jalmur und den Anderen waren, klang der Gesang der Naturgeister und ihrer Gäste doch so unendlich weit entfernt.

Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte Tjordis, wie Anthardes Hand sich ihrer Wange näherte. Sie zwinkerte verblüfft, als sie zu bemerken meinte, dass der weiße Handschuh beim Näherkommen immer weiter verblasste und statt dessen die fahle Hand des Naturgeistes zum Vorschein kam, die an ihrer Wange angekommen, sanft eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht strich.

Das Mädchen schloss die Augen und legte den Kopf schräg, um ihre Wange an seine Hand zu schmiegen - doch da war nichts mehr, woran sie sich schmiegen konnte. Verwirrt öffnete sie die Augen und sah noch, wie sich die Hand des Naturgeistes wieder entfernte, dabei immer weißer wurde, bis der Handschuh und der Silberring wieder eindeutig zu erkennen waren. Magie, es war doch Magie im Spiel!

"Ich... ich muss gehen." entschuldigte Tjordis sich stotternd, drehte sich um und verlies zügigen, aber wackeligen Schrittes die Pflanzenhütte.
Dies alles war zu viel - viel zu viel... Die Anziehungskraft dieses seltsamen Naturgeistes, die offensichtliche Anwesenheit von Magie, und vor allem ihre eigenen Gefühle, die sie vorher noch nie gefühlt hatte, waren ihr zutiefst unheimlich....

Ohne sich großartig zu orientieren lief die junge Händlerin in irgendeine Richtung, Hauptsache fort von diesem Ort - fort von der Person, die sie so durcheinander gebracht hatte.
Immer noch benommen von ihren Gefühle bemerkte sie gar nicht, dass sie auf einen dichteren Teil des Wäldchens am Rande des Zeremonienplatzes zusteuerte. Ein kühler Herbstregen hatte eingesetzt, der sie durchnässte - doch das bemerkte Tjordis gar nicht. Die Stimmen und die Musik der Feiernden hinter sich zurücklassend ereichte sie nach weniger als einem Dutzend Schritte den Waldrand.
Sie drückte gerade einen im Weg befindlichen Ast beiseite, als ein feuchter Windstoß (oder waren es die Fäden eines Spinnenetzes?) ihr Gesicht traf. Durch ihr Gesicht streichend ließ sie den Ast los, der mit einem peitschenden Geräusch zurückschnellte.

"Der Ast hätte jemanden verletzen können.", vernahm sie die vertraute Stimme des gerade zurückgelassenen Naturgeistes hinter sich. Die junge Frau drehte sich schnell um und erblickte die weißhaarige, weißgewandete Gestalt direkt vor sich. Der Ast hätte ihn genau treffen müssen, und doch war kein Anzeichen davon zu entdecken. 'Als ob er durch ihn hindurch gegangen war.' Tjordis' Augen weiteten sich vor Verwunderung.

Sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Der Naturgeist stand einfach nur da und schaute sie an. Seine Füße schwebten wenige Finger breit über dem Boden, so dass keine Spuren außer ihren eigenen im Waldboden zu erkennen waren. Seine Ausstrahlung ließ ihn würdevoll erscheinen, flößte ihr aber dennoch Vertrauen ein. Der Wind spielte mit seinen Haaren und seinen weiten Gewändern - als ob er nur wehen würde, um genau dies zu bewirken. Der Regen benetzte weder sein Haar noch seine Kleidung, sondern schien geradezu durch ihn hindurch zu fallen. Seine roten Albinoaugen waren trotz der Dunkelheit gut zu erkennen, und wirkten auf Tjordis nicht bedrohlich, sondern irgendwie anziehend.

Der Regen hatte die Wollkleidung der jungen Wali inzwischen durchweicht und sie spürte die sich in ihr ausbreitende Kälte. Doch dies schien so fern zu sein - als ob nicht sie es war, die dies spürte. Tjordis war sich einerseits völlig bewusst, dass etwas Unerklärliches um sie und in ihr geschah - und doch sie fühlte keinerlei Angst.

***

Mit einer beiläufigen Geste stellte Anthardes das Behältnis mit seinem Miniaturbaum auf den Waldboden - seine Behausung; die Pflanze, deren verkörperter Geist er war; der Teil der Natur mit dem er eine Symbiose eingegangen war... die Dryade und ihr Baum.

"Komm..." flüsterte Anthardes der jungen Walifrau zu und streckte ihr seine Hand entgegen. Er sah Tjordis' inneren Konflikt. Ihr schien bewusst zu sein, dass sie nicht wirklich wusste worauf sie sich hier einließ. Aber ihr Herz und ihr Gefühl schienen eindeutige Zeichen zu geben, so dass sie zögernd die ihr angebotene Hand ergriff. Ihre kalte Hand wurde schnell wärmer - wie auch ihr ganzer Körper, ausgehend von dieser Hand, von Wärme erfüllt wurde. Anthardes zog Tjordis an sich, wodurch sein weiter Umhang auch ihr Schutz vor den Naturgewalten bot. Ein bestätigendes Lächeln zauberte sich auf das Gesicht des Naturgeistes, als das Mädchen sich an seine Brust und Schulter schmiegte: 'Ich scheine mit meinen Gefühlen nicht allein zu sein.'

Anthardes drehte sich mit der nassen Händlerin im Arm zu dem abgestellten Miniaturbäumchen um und machte einen Schritt darauf zu.

***

Tjordis führte es auf die überwältigenden Ereignisse der letzten Minuten zurück, dass sie den Eindruck hatte, die Welt um sich herum schrumpfen zu sehen. Doch als sie einen Igel von der Größe eines Pferdes im Unterholz ausmachte und sich das "Unterholz" als ein Büschel Gras herausstellte, war sie sich sicher, dass sie keine Halluzinationen hatte. Trotzdem vermochte sie das kaum zu glauben.

Ein weiterer Schritt und sie standen urplötzlich vor einer Tür. Diese mannshohe Holztür schien aus lebendem Material zu bestehen und stellte den Eingang in einen Baum dar, dessen weiße Rinde und Blätterwerk im Nass des Regens wie die Flügel einer Libelle in allen Regenbogenfarben schimmerte. Eine rot verglaste Laterne hing direkt neben dem Türeingang und entzündete sich von selbst, als sie sich näherten.
'Dies ist der Miniaturbaum!' wurde es Tjordis augenblicklich klar.

Die Blicke der Wali und des Naturgeistes trafen sich. Sein Blick war so verständnisvoll, sein Blick so anziehend... Tjordis hatte Schmetterlinge im Bauch und den Eindruck, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Die Baumtür schwang vor Anthardes auf. Der Fee überschritt, Tjordis auf die Arme nehmend, die Schwelle und trat damit in einen Teil des Feenreiches - des Geisterreiches - ein, Anthardes' Herrschaftsgebiet.

***

Anthardes war sich nicht sicher, was er der jungen Frau bieten wollte und beschloss, zunächst einen Naturgeisterraum zu wählen. Schließlich hatte ER die Wahl, wie der Raum, den sie betraten, aussehen sollte. Sein Baum verfügte über 80 Räume, natürlich 80 Schlafzimmer. Jeder Raum sah anders aus: ob nun die mit Kissen gepolsterten Hängematten der Piraten, die dekadent ausstaffierten Liegen der Legion, die üppigen Betten der Caswallonier, die einfachen Lagerstätten der Korosser oder der Steppenelfen: Anthardes' Baum hatte für jeden etwas passendes.

***

Der jungen Frau bot sich ein seltsamer Anblick:
Das Schlafzimmer eines Waldelfen. Wenigstens hätte sich Tjordis so das Schlafzimmer eines Elfen vorgestellt. Ein aus lebendem Holz gewachsener Raum ohne wirkliche Ecken und ebene Flächen. Es roch nach Pflanzen, aber nicht unangenehm. Tjordis fühlte sich an einen Frühlingsmorgen auf einer Waldlichtung erinnert. An einer Stelle war ein natürliches Bett aus Moos und großen Blättern zu erkennen. Wollte der "Elf" hier mit ihr die Nacht verbringen? Der Eindruck täuschte.

Ohne Tjordis abzusetzen, bewegte Anthardes sich auf eine Wand des Raumes zu und durchschritt diese.
Ein weiterer Raum folgte. Dieser war über und über mit Seidentüchern aller Farben geschmückt. Auch hier waren die Wände nicht gerade, sondern wirkten wie gewachsen. Ein großes rundes Bett, welches ebenfalls mit seidenen Tüchern bezogen war, dominierte den Raum. Der süßliche Duft eines Parfüms lag in der Luft. Mehr Eindrücke konnte Tjordis nicht aufnehmen, da Anthardes auch diesen Raum schon wieder hinter sich ließ.

Das nächste Zimmer war abgedunkelt, so dass die Händlerin nicht viel sehen konnte. Doch hier schien der Naturgeist verweilen zu wollen, denn Tjordis spürte, wie sie auf eine weiche Unterlage abgelegt wurde. Es roch nach Holz, Stroh und Pelz, ein Feuer prasselte (dass dies in einem Baum nur eine Illusion sein konnte, wurde ihr in dem Moment nicht bewusst), und sie konnte weiches, warmes Fell unter sich spüren. Ihre Augen begannen sich an das Dämmerlicht zu gewöhnen und das vertraute Gefühl bestätigte sich: Der Raum war der Schlafecke eines walischen Langhauses nachempfunden!

Die Verwunderung über all diese Räume innerhalb des Baumes wich einem angenehmen Eindruck der Vertrautheit. Tjordis fühlte sich hier gut aufgehoben, fast heimisch und irgendwie berauscht von diesem wohligen Gefühl, welches sich in ihr breit machte.
"Du erkältest dich noch..." hörte sie Anthardes Stimme sagen und spürte, wie jemand begann ihr die nassen Sachen vom Körper zu streifen.
"Oh...ja..." seufzte sie leise und half, die völlig durchnäßte Kleidung los zu werden. Tjordis schaute auf und sah über sich die weiße, nackte Brust von Anthardes, der sich über sie beugte. Dann spürte sie seine warmen, weichen Hände über ihren Körper wandern.
Was war nur los mit ihr? So hatte sie sich doch noch nie benommen. Noch nie hatte sie jemand so berührt! Aber ihr war jetzt alles egal. Hauptsache dieses Gefühl würde nicht aufhören, das Gefühl der Geborgenheit und der Wärme, das Gefühl seiner Hände auf ihrem Körper. Sie wollte noch mehr, viel mehr davon...

***

Anthardes bemerkte, dass seine Wahl, sich mit Tjordis in eine ihr vertraute Umgebung zu begeben, richtig war. Er hätte es sich mit ihr auch an für sie "exotischen" Umgebungen gemütlich machen können, doch ihm war nicht nur nach irgendeinem Schäferstündchen, um seine nymphomanen Triebe zu befriedigen (schließlich war er ein Nymph!). Nein, ihm lag mehr an der hübschen walischen Händlerin. Alles sollte perfekt sein - eine perfekte Nacht, arrangiert für eine besondere Frau - und das kam bei ihm nicht oft vor. Sicherlich waren sie alle irgendwie etwas besonderes, doch nur äußerst selten fühlte sich Anthardes von einer Frau so angezogen.

Wie sie sich vor ihm räkelte... Sie war sich keineswegs bewusst, dass sie sich hier von einem ihr eigentlich völlig Fremden verwöhnen ließ. Bei IHR dominierten zur Zeit ihr Trieb und etwas, was außerhalb eines artikulierbaren Verständnisses lag - obwohl Anthardes natürlich genau wusste wie es sich anfühlte.

Er begann sein Streicheln, welches ihr sichtlich gefiel, durch kleine Küsse, die er auf ihren Körper verteilte, zu ergänzen. Ein wohliges Seufzen gab ihm recht, mit seinen Liebkosungen fortzufahren.
In der folgenden Stunde streichelte und küsste er alle ihre besonders empfindlichen Stellen, was sie entweder dazu brachte vor Erregung den Atem anzuhalten, oder süße kleine Geräusche von sich zu geben...

Nach einer Zeit des reinen Genusses erwiderte das Mädchen seine Küsse, zunächst etwas ungeschickt, dann immer fordernder. Auch sie wollte ihn nun berühren und streicheln. Sie streckte ihre Arme nicht nur nach Anthardes Brust oder Rücken aus, sondern begann auch, eine Hand zu seinem Intimbereich zu führen. Dieses unsichere Tasten bestätigte Anthardes' Vermutung, dass sie so unerfahren war, wie er es vermutet hatte.
Er lenkte ihre Hand gekonnt an andere Stellen seines Körpers, um diese Nacht nicht durch ungelenke Bemühungen zu schmälern. Er würde ihr schon dabei helfen alles richtig zu machen... wenn es soweit war.

Die Zungenspiele und kleinen Massagen dauerten weiter an. Als ihr Körper vor Hitze glühte, ihre Brustwarzen schon von der kleinsten Berührung zum Stehen gebracht wurden und die Feuchtigkeit an ihrer intimsten Stelle nicht mehr ignoriert werden konnte, sah Anthardes den richtigen Zeitpunkt für gekommen.
Seine Lippen wanderte zu ihrem Dekolleté, den Hals hinauf zu ihrem Ohr. Er knabberte ein bisschen an ihrem Ohrläppchen und biss in dem Augenblick, in dem er in sie eindrang, einmal etwas kräftiger zu. Ihr erstauntes, aber wohliges Grunzen beruhigte ihn. Auch wenn sie wahrscheinlich noch Jungfrau gewesen war, hatte ihr dies keine Schmerzen verursacht. Wahrscheinlich hatte die Arbeit auf dem Schiff oder ein harter Ritt in Waligoi schon das besorgt, was Anthardes meinte erledigen zu müssen.

Nun konnte er seinem Trieb freien Lauf lassen. Er genoss es, der jungen Frau die Freuden des Liebesspiels zu zeigen und sie zu verwöhnen. Selten hatte eine Menschenfrau ihn so angeregt. Schnell hatte er herausgefunden, wie er Tjordis noch größere Befriedigung verschaffen konnte. Mit Fingern und Zunge erweiterte er das Spiel zu noch größerer Lust. Der Nymph war entzückt von der frischen ungekünstelten Art des Mädchens. Auch Tjordis hielt sich nun nicht mehr zurück und regte ihn durch ihre Küsse und ihr Streicheln noch mehr an. Ihre weiche transpirierende Haut, ihr sinnlicher Geruch und ihre begehrlichen Seufzer ließen ihn von einer weiteren Welle der Lust erfassen. Selbst wenn er sich in sie ergoss - seine Libido war ausgeprägt. Diese Nacht würde ihnen noch viele weitere Freuden schenken...

***

"Meine Güte hast du aber einen Appetit.", bemerkte Kjelt, als Tjordis sich einen weiteren Löffel des Frühstücks auf ihren Teller schaufelte. "Wir haben uns schon ein wenig Sorgen gemacht, wo du bleibst. Aber die Naturgeister lassen keinen zu Schaden kommen, sonst hätten wir natürlich nach dir gesucht.", meinte Rodrik schmunzelnd.
Sie fühlte sich völlig übernächtigt, ausgelaugt und doch irgendwie zufriedener und wohliger als je zuvor. Trotz des Muskelkaters am ganzen Körper - sogar an Stellen, wo sie bislang keine Muskeln vermutet hatte!
Tjordis hatte keine Ahnung, wie sie in der Nacht in Jalmurs Haus gekommen war. Der vergangene Abend war für sie so unwirklich. War das alles tatsächlich geschehen? Die Zeremonien... daran konnte sie sich noch klar erinnern, doch was war mit dem Rest danach? Ihre Begegnung mit diesem Nymph (ihr fiel auf, dass sie plötzlich wusste, was das für ein Wesen war!), ihre kurze "Flucht" vor ihrer eigenen Unsicherheit... Und die Nacht, die darauf folgte?

"Nun gönn' dem Kind doch die exotischen Speisen der Naturgeister. Außerdem befindet sie sich ja fast noch im Wachstum." frotzelte Rodrik.
Tjordis wollte trotz ihrer Abgeschlagenheit aufspringen und Rodrik einen Schubs versetzen, obwohl sie das kumpelhafte Lästern keine Sekunde ernst nahm. Die Schmerzen, die der Muskelkater in ihren Beinen verursachte, verhinderten dies, so dass es nur beim Ansatz eines Aufspringens blieb. Der komische Anblick ihrer Körperhaltung war daraufhin weiterer Anlass spitzer Bemerkungen. "Muss ja eine anstrengende Nacht gewesen sein...", witzelte Kjelt. Ihr errötendes Gesicht versteckte Tjordis in einem Napf Eintopf.

"Ich geh wieder ins Bett." hörte Tjordis sich selbst sagen, nachdem sie, trotz allen Spotts, noch eine Portion des Frühstücks vertilgt hatte.

Dort konnte sie zunächst nicht einschlafen. Eine merkwürdige Erregung erfasste sie und ein gewisses Kribbeln zwischen ihren Beinen ließ ihre Finger dorthin gleiten... Nachdem sie sich Befriedigung verschafft hatte, schlief sie tief und fest.

***

Die nächsten Tage versuchten Jalmur und Tjordis unter anderem, den Naturgeistern das "Handeln" nahe zu bringen. Diese Wesen hatten keinerlei Verständnis für den Tauschwert von Waren!
Ein Kobold brachte beispielsweise zum Tausch für eine Flasche Met einen ganzen Arm voll herbstlich gefärbter Blätter! Wunderschön anzusehen, aber für Menschen nun mal "wertlos"... Dem kleinen Kerl das zu erklären ohne ihn zu kränken, stellte sich als sehr schwierig heraus. Doch mit viel Humor fand sich dann doch etwas annähernd "passendes".
Ein "Hauptanliegen" würde der Handel mit den Naturgeistern für die Walis sicher nie werden, aber es gab schon manches, was den Austausch lohnte.

Doch schließlich war es an der Zeit, sich auf den Heimweg zu machen. "Das war mal wieder ein netter Besuch.", bemerkte Jalmur, als er sich mit Tjordis auf den Weg zum Hafen machte. "Und, was für einen Eindruck hat dein erster Besuch bei den Naturgeistern hinterlassen?" fragte er mit einer gewissen Neugier.
"Ich weiß nicht. Es ist wirklich schön hier. Zu Hause ist es 'anders' schön. Die Naturgeister sind seltsame, aber interessante Geschöpfe. Ich weiß nicht, ob ich auch nur einen von ihnen jemals richtig verstehen werde - ob es nun die Sprache oder ihr Wesen ist." Jalmur nickte lächelnd, als hätte er diese Worte von der jungen Frau erwartet.

'Aber am wenigsten verstehe ich meine eigene Phantasie, die mir vormacht, dass nach den Zeremonien am Abend des Herbstfestes etwas vorgefallen sei.' Tjordis hüllte sich in das herrliche Kaninchenbüffelfell und behielt ihre weiteren Gedanken für sich. Womöglich müsste sie sonst erklären, was sie da vor sich hin geträumt hatte!

Das mit eingetauschten Waren und etwas Proviant fertig beladene Schiff wartete nur noch auf die Ankunft des Fürsten und seiner Begleitung, um ablegen zu können.
Irgendwie hatte Tjordis erwartet, mehr Naturgeister an der Anlegestelle zu sehen, die den wegfahrenden Walis eine gute Fahrt wünschen. Doch sie vergaß dabei, dass Naturgeister in den Augen der Walis interessant genug waren, um für einen Massenauflauf zu sorgen - die Walis jedoch selbst für die neugierigsten Naturgeister nur von eingeschränktem Interesse waren.
Sie verabschiedete sich höflich von den offiziellen Vertretern und etwas kameradschaftlicher von den paar Naturgeistern, die sie in den letzten Tagen etwas näher kennen gelernt hatte.

Das Schiff legte ab und Tjordis begab sich ans Heck des Schiffes, um noch möglichst lange einen Blick auf Titania werfen zu können.
Sie ließ die vergangenen Tage vor ihrem inneren Auge passieren. Irgendwie war sie schon froh bald wieder auf Handelsfahrt gehen zu können, aber andererseits...
Sie wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen, als ein einzelner Naturgeist am Hafen auftauchte. Sein hochgewachsener Körper war vom Scheitel bis zur Sohle in weiß gehüllt, seine schlohweißen Haare wehten im Wind und seine roten Augen schienen sie anzufunkeln.
'Der Nymph aus meinem Traum...!' hätte Tjordis beinahe laut ausgerufen.
War es also doch kein Traum gewesen?
Die sich immer weiter entfernende Gestalt hob die Hand und deutete mit einem Finger auf die am Bootsrand stehende Frau, danach auf sich selbst, und letztendlich mit zwei Fingern auf seine Augen. "Ja, wir werden uns wiedersehen, irgendwo, irgendwann... " Eine Träne lief über Tjordis' Wange, die sie schnell wegwischte.
Sie sah sich kurz um, um zu sehen, ob noch jemand anders dies beobachtet hatte. Doch niemand schien etwas bemerkt zu haben. Als sie sich wieder in Richtung Titania umdrehte war die mystische Gestalt fort.
"Jalmur! Wann fahren wir das nächste Mal zu den Naturgeistern?" rief sie quer über das ganze Schiff.


Glossar (für Neos) ;-)

Der Großteil der magiranischen Begriffe erklärt sich durch den Zusammenhang selbst, doch hier sind einige Hilfen.

Bahuni
In Allanan Estrivel, der Sprache der Naturgeister, das Wort für Mensch, aber auch für Trottel.

Caswallonier
Bewohner von Caswallon im Nor der Westlichen Welt. Ihre Kultur entspricht der irdischen Renaissance-Zeit Italiens.

Clanthon
Land auf der Alten Welt. Das dort lebende "Volk von Clanthon" (nach ihrem Wappen auch "Einhörner" genannt) wurde durch einen Krieg in alle Winde zerstreut.

Dryade
Baumnymphe. Siehe auch Nymphe.
Anthardes, die Nymphe in dieser Geschichte, ist keine einfache Dryade, sondern innerhalb dieser Baumnymphen ein Sonderfall, und dies sogar in zweierlei Hinsicht. Zunächst einmal ist er eine männliche Dryade. Dies kommt unter den Nymphen im allgemeinen nicht häufig vor, da Nymphen den Fruchtbarkeitsaspekt der Natur hervorheben und somit zumeist weibliche Ausformungen haben. Zum zweiten, da er einen, nur in seinem Familienzweig vorkommenden transportablen Miniaturbaum sein Heim nennt. Dadurch ist es ihm möglich den Nachteil der räumlichen Begrenztheit zu ignorieren, aber dennoch den Vorteil der Kontrolle über sein Hoheitsgebiet zu erhalten, da sich dieses über den Bereich erstreckt, den der Baum umfassen würde, wenn er von normaler Größe wäre.

Neu-Descaer
Auf dem Gebiet der Naturgeister befindliche Siedlung einer Gruppe clanthonischer Flüchtlinge.

Neu-Westurgoi
Walisches Siedlungsgebiet auf der Westlichen Welt.

Nymphe
Ein Feenwesen, welches ein Teil der Natur ist, einerseits mit ihr verschmolzen und von ihr abhängig, andererseits von ihr losgelöst und mit völliger Kontrolle über ihren Teil der Natur ausgestattet. Eine Nymphe ist mit ihrem Teil der Natur verschmolzen (z.B. ein Hügel, eine Pflanze, ein See) und kann sich nur bis hin zu dessen weitesten Ausläufern frei bewegen. Sie existiert nur so lange, wie der Teil der Natur existiert, mit dem sie verbunden ist (was aber wahrlich lange ist, zumindest wenn man es mit menschlichen Maßstäben misst). Andererseits formt die Nymphe außerhalb ihres Stücks der Natur einen eigenständigen, von der Natur losgelösten, Körper aus, welcher häufig dem einer Elfe gleicht. Er besitzt die völlige Kontrolle über alles, was in oder auch auf ihrem Stück der Natur geschieht. Manch ein übereifriger Bibliothekar behauptete sogar, eine Nymphe wäre auf ihrem Hoheitsgebiet einem Gott gleich.

Titania
Weslich des Tieflandstreifens, am Binnenmeer der Westlichen Welt, gelegene Handelsstadt der Naturgeister.

Walis
Seefahrendes Volk, welches den irdischen Wikingern nahe steht.

Waligoi
Urheimat der Walis auf der Alten Welt.

Wellingtok
Zeltstadt der Toku in der Kanzanai auf der Alten Welt.

Wülüdühu
Trinkspruch der Naturgeister. Entspricht dem irdischen Prosit.

Yddia
Fachbegriff für die Westliche Welt.

Copyright © November/ Dezember 2001 by Andi S. und Anthardes