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Vom Nebling zum Nebelnymph Jeden Abend freute er sich auf die Zeit, wenn der glühende Ball seine Kraft verlor. Dann konnte er auf den kleinen gischtumspülten Felsen schweben, um das tausendfache Glitzern zu beobachten, das sich immer dann zeigte, wenn das Himmelsfeuer im Meer versank. Auch heute übte er sich hier in der Ausbildung von Gliedern, eines schlanken Körpers, in dem die Tropfen eine feuchte aber feste Oberfläche bildeten und eines Gesichtes, das in seinen Zügen den Elfen gleichen musste. Leider kannte er dieses Volk bisher nur von den Erzählungen der Nymphen, die im großen Ritual ihr Wissen miteinander teilten. Seit beinahe einem Jahr nahm er jetzt an diesem Ritual teil, doch erst morgen würde er wirklich zu ihnen gehören, wird im Nebelfest vom Nebling zum Nymphen werden. Endlich wird er die letzten Manifestationen lernen, um seinen Körper zu vervollständigen. Nefbadel hatte schon des öfteren versucht, Finger zu bilden, doch wollte ihm das nicht so recht gelingen. Erst gestern hatte sich ein Daumen gerade in dem Moment verabschiedet, als er endlich diesen kleinen, letzten Finger vollendet hatte. Er hatte sich einfach von seiner Hand gelöst und war davongeschwebt. Das durfte ihm morgen auf keinen Fall passieren. Nur am Kopf durften Schwaden mit der Luft spielen, wenn er in fester Körperform die Küstennebel verließe, um über den Boden zu schweben, den die Festleiber Insel nannten. Wenn er nur daran dachte, gerieten seine Tropfen in Wallung, und der eben mühsam gebildete Körper verlor augenblicklich seine Form. Doch das passierte bei großer Erregung selbst noch den erfahrensten Nymphen. Nefbadel fragte sich nur, wie die Erwachsenen das Vertrocknen vermieden, wenn sie die Nebel verließen. Bei dem Gedanken an diesen Tod ballte sich das Wasser in ihm eng zusammen. Er nutzte die Gelegenheit für einen Versuch, eine dieser Tränen zu formen, die aus der Stelle treten sollte, wo bald eines seiner beiden grünen Augen säße. Nafilebel hatte ihm schon mal erklärt, dass die Festleibigen damit ihre Trauer ausdrückten. Er konnte sich gut vorstellen, selbst einmal bei einem vertrockneten Nymphen zu stehen und ein wenig von seinem eigenen Nass zu geben, um zu zeigen, dass man den Freund vermisste. Wenn er doch nur schon ein paar Grünpunkte aufnehmen könnte, um seine Augen ausprobieren zu können. Wieder spielte er mit dem Gedanken, ein Meerbad zu nehmen, um an die, wie nannten die Festleibigen sie noch gleich, ach ja, Algen, um an ein paar Algen zu kommen. Doch das war ihm als Nebling strengstens untersagt. Für einen Nebling war die Gefahr zu groß, von einer kräftigen Welle in tausend Tröpfchen zerlegt zu werden. Und er würde seine erste Manifestation nicht noch am Tag vor dem Nebelfest aufs Spiel setzen. Außerdem erfuhr er ja erst morgen, wie er seinem Körper mit Hilfe des Meersalzes diese Farbe verleihen konnte, dieses beeindruckende Weiß, das seine Manifestation erst zu einem wirklichen Erlebnis werden lassen würde. Damit konnten ihn auch die Festleibigen wahrnehmen. Es war dann an ihm selbst zu entscheiden, wem er sich zeigen wollte und wem nicht. Nefbadel hatten es besonders die Geschichten von den Zwergen angetan. Zwar wusste er, dass es bestimmt eine ganze Weile dauern wird, bis er einen fand, der an keiner Feuerstelle saß, keinen Feuerkasten mit sich herumschleppte und nicht gleich verschwand, wenn er ein bisschen Wasser auf seiner Haut spürte, doch dies würde ihn nicht abhalten können. Er war viel zu neugierig auf das den ganzen Körper erfassende Kribbeln, wenn er mit seiner Hand durch das fuhr, das die Zwerge ihren Bart nannten. Schwer seufzte er, das einzige Geräusch, das er bisher von sich geben konnte. Wenn die Zeit doch nur schneller verginge. Der Nebling genoss die letzten Sonnenstrahlen, schnappte sich ein wenig von der Gischt, um einen Bart anzuheften, so wie er ihn sich vorstellte, und nahm dann all seine Tropfen zusammen, um zum täglichen großen Ritual nicht zu spät zu kommen. Heute stand nämlich etwas besonderes an: Bonebsel war von einer langen Reise zurückgekehrt und wollte die Erlebnisse mit seinem Volke teilen. Da er so lange unterwegs gewesen war, hatte er bestimmt auch einige Zwerge getroffen. Doch wahrscheinlich hatte er sich wieder überwiegend bei den Kobolden herumgetrieben. Nefbadel mochte diese kleinen Wesen nicht sonderlich, und auch die meisten anderen Nymphen schenkten ihnen wenig Beachtung. Und dass es unter ihnen welche geben sollte, die vollkommen aus Feuer bestanden, war nur ein Grund von vielen. Der Wind frischte auf, und es kostete ihn einige Mühe, sein Wasser bei sich zu halten. Aber natürlich schaffte er es am heutigen Abend, wusste doch jeder, dass man so kurz vor dem Nebelfest keinen Tropfen verlieren durfte. Glücklicherweise hatte er seinen Daumen noch einmal einfangen können. Jetzt war seine feste Gestalt ganz verwischt. Er nutzte eine neuerliche Böe zu einem Spurt und erreichte den Rand der Insel ziemlich atemlos. Fast hätte man es in seinen Schwaden blubbern hören können. Jetzt musste er noch mehr Kraft aufwenden, um für das große Ritual durchlässig genug zu werden. Badnebogel hatte ihn heute morgen gefragt, ob er nicht vor dem großen Ritual noch ein kleines mit ihm durchführen wolle. Doch er war heute nicht dafür in Stimmung. Was konnte Badnebogel in den zwei Tagen seit ihrer letzten Vereinigung schon Großartiges erfahren haben, gehörte er doch erst seit einem Jahr zu den Nymphen, und in diesem Jahr war er äußerst faul gewesen. Zwar badete er sich regelmäßig, doch ließ er sich lieber mit dem Wind treiben, als zu manifestieren und über den Rand der Insel zu blicken. Und dabei wurde er von den Nebelnymphen im Landesinneren bestimmt schon erwartet. Schließlich wusste doch jeder, dass man nur hier an der Küste neue Neblinge hervorbringen konnte. Angeblich sollen sie es am Fluss auch schon geschafft haben, aber das war sicher nur eine Neblinggeschichte, schön ausgedacht, aber eben nur erfunden. Er selbst verzichtete schon seit seinem ersten großen Ritual auf die kleinen Rituale mit Neblingen. Doch als junger Nebling Nymphen für ein Ritual zu finden, war gar nicht so einfach. Schließlich durfte ein Nebling die Küstennebel nicht verlassen, wie sollte er da neues Wissen erlangen, neue Erfahrungen sammeln, die er weitergeben konnte? Er selbst hatte Glück, dass Zenebel auch den Sonnenuntergang liebte, selbst aber immer zu beschäftigt war, um ihn zu beobachten. Er unterrichtete die jüngsten Neblinge, spähte nach Schiffen und machte von Zeit zu Zeit auch den ein oder anderen Ausflug auf die Insel. Wie man hörte soll es ihm dort eine Fee angetan haben. Seine Gedanken wanderten erneut zum morgigen Nebelfest, das während des Aufsteigens des Sonnenballs und nach seinem Versinken gefeiert wurde, beschäftigte ihn gar so sehr, dass er den Einstieg ins Ritual verpasste. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Doch die Aufregung war einfach zu groß, es war zu viel, was sich morgen für ihn alles änderte, das er schon in wenigen Stunden erleben durfte: Manifestationen von Augen, Händen und Stimmbändern, sein erstes Meerbad, und schließlich durfte er in den Abendnebeln zum ersten Mal mithelfen, neue Neblinge zu formen. Er hatte sich schon genau überlegt, welches Wissen er ihnen schenken wird: die Schönheit des Sonnenuntergangs und die Lust an Zwergenbärten. Aber dann nichts wie weg auf die Insel, um den Blütenstaub, von dem er schon so viel gehört hat, endlich mit eigenen Tropfen zu kosten. dass er sich vor Nebelleoparden in Acht nehmen musste, wie auch vor dem Vertrocknen, das wusste er bereits. Warum also noch einen Tag länger warten? Und wenn er die Nymphen noch überzeugen konnte, dass nicht jeder Nebelnymph so große Ohren brauchte, fast so groß wie die der Elfen, wie man erzählte, so konnte ihn nichts mehr halten. Dann würde er die verbleibenden Frühlingstage bis zum letzten auskosten, kam doch der Sommer schnell genug, und mit ihm die Zeit, in der man seine ganze Kraft benötigte, um sein Wasser bei sich zu behalten. Ganz zu schweigen von der langen Winterzeit, in der alle Nebelnymphen schliefen. Und bis dahin wollte er doch unbedingt herausfinden, was es mit diesen zwei Geschlechtern auf sich hatte... Nefbadel 2000 |